Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Heuchelei abzufordern.
„Wir danken Euch für Eure Gastfreundschaft!“ erwiderte er die Anrede. „Da Ihr weder wußtet noch ahntet, mit wem Ihr es zu tun hattet, ist das Verdienst, fremde Reisende in Eure Burg aufgenommen zu haben, um so größer. Ihr kennt unsere Namen. Nun sollt Ihr auch wissen, was unseres Amtes ist. Euer Neffe hat das Richtige getroffen. Wir sind missi dominici, Königsboten. Wir reisen im Auftrag unseres Herrschers, des Königs Karl, als dessen Stellvertreter!“
Herr Garibald spielte nun wirklich vollendet den Überraschten. Er wurde nicht fertig mit seinem „Ha!“ und „Hoho!“, in das auch die hutzlige Hausherrin und der Chor der Schrate einstimmten.
„Stellvertreter des Königs?“ rief er. „So hohe Gäste im Rabennest? Wie komme ich zu einer solchen Ehre?“
„Nun, Ihr sagtet es doch“, erwiderte Odo, „durch Jesus und Donar. Die beiden können sich sonst zwar nicht ausstehen, doch ausnahmsweise, um Euch eine Freude zu machen, haben sie sich zusammengetan!“
Es gab Gelächter, und auch wir selbst wurden heiter. Es passierte uns ja nicht zum ersten Mal, daß man uns unter ein Dach und an einen Tisch lockte, um uns als Richter günstig zu stimmen. In diesem Fall war es mit sehr viel Aufwand und sogar etwas Witz geschehen, wenn auch nicht schlau genug, um uns vollends zu täuschen. Wir nahmen uns vor, gute Miene zu machen und abzuwarten. Was blieb uns auch übrig? Es würde sich schon herausstellen, ob Garibald Anspruch auf ein Wergeld hatte, das Rothari ihm offenbar nicht zusprechen wollte.
So verflüchtigten sich die düsteren Ahnungen. Frau Bathilda zog sich in die Küche zurück, um das Mahl vorzubereiten. Den Römerpokal nahm sie mit, doch waren wir schon mit Kannen und Bechern versehen. Ein kleiner Zwischenfall hob die Stimmung noch mehr. Das holde Engelsgesicht, die Tochter des Hausherrn, ging mit dem Weinkrug herum und schenkte uns ein. Wir standen dabei scherzend im Kreise, und da bemerkte ich, daß unserm Heiko die Hände zitterten, als er ihr seinen Becher hinhielt. Er starrte sie an wie eine Himmelserscheinung. Das verwirrte die Jungfrau, und während sie zaghaft den Blick zurückgab, verschüttete sie etwas Wein. Rasch wandte sie Heiko den Rücken … Da aber geschah es, daß zwei Hunde herbeirannten, um aufzulecken, was zu Boden getropft war. Sich balgend gerieten sie zwischen die Beine der Jungfrau, die plötzlich aufschrie und hintenüber fiel. Heiko sprang vor, um sie zu halten. Weil sie jedoch den Krug schützen wollte und ihn mit beiden Armen hoch in die Luft hielt, war es ihm ganz unmöglich, sie an den Handgelenken, den Ellbogen oder an einer anderen Stelle zu packen, wo Zucht und Sitte solches erlauben. So griff er unerschrocken nach den Erhebungen, welche die Maler und Bildhauer bei der Jungfrau Maria meist weglassen, und hielt diese so wacker fest, daß nicht nur der Fall des lieblichen Engels verhindert, sondern sogar der Krug gerettet wurde. „Das nenne ich eine kühne Tat!“ rief Odo anerkennend, und auch wir anderen spendeten lachend Beifall, nur Herr Garibald nicht, der der Meinrade streng befahl, sich zu ihrer Mutter in die Küche zu scheren. Dabei hätten uns ihre heftig erglühten Pausbäckchen jetzt, da es immer dunkler wurde, den Kienspan ersetzen können.
Ach, wäre es doch so lustig weitergegangen …
3
E s verwunderte uns nicht mehr, daß wir kaum an den Tischen Platz genommen hatten, als schon die Schüsseln hereingetragen wurden. Die Hasen und Hühner mußten selbst ihre Felle und Federn abgeworfen und sich in höchster Geschwindigkeit an den Bratspießen gedreht haben, um in so kurzer Zeit knusprig und duftend zum Verzehr bereit zu sein. Auch unser Birkhahn hatte sich in Windeseile in einen Braten verwandelt und dabei außerdem noch die Gesellschaft mehrerer Artgenossen bekommen. Es gab außerdem Schinken und Würste in Menge sowie im Rauch gedörrte Rinderzunge, einen besonderen Leckerbissen, auf den sie sich hier verstehen und dem ich daher gern und ohne falsche Hemmungen zusprach.
Während des Essens wurde kaum geredet, weil alle vollauf beschäftigt waren. Gewiß waren solche Genüsse im Rabennest keine Alltäglichkeit, und man widmete sich ihnen mit Andacht. Die Schrate schlugen die letzten Zähne, die ihnen geblieben waren, gierig in das Fleisch und mummelten heftig, wobei sie das nächste Stück schon mit eifersüchtigen Blicken beäugten. Selbst die Horde des Hug vergaß zu lärmen und Schabernack zu treiben. Nur ab
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