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Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Titel: Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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hinzu, doch es gelang noch immer nicht. Ich erhob mich, um ebenfalls zuzufassen, und merkte auf einmal, daß ich auf schwankendem Boden stand und daß die ehrwürdige Mutter, die kleine Nonne, die Kandelaber, die Vasen, die hölzerne Maria mit dem Jesuskind und alle Gegenstände des Raumes einen bacchantischen Reigen aufführten.
    O dreimal verfluchter letzter Becher! dachte ich. Es war wieder einer zuviel …
    Indessen gelang es uns trotz aller Widrigkeiten, die Mutter Äbtissin auf die Beine zu bringen. Das Nönnchen auf der einen, ich auf der anderen Seite – so führten wir sie durch die Tür an die Treppe und machten uns an den halsbrecherischen Abstieg. Jedesmal, wenn wir tastenden Fußes die nächste Stufe erreicht hatten, hielten wir inne und dankten Gott. Einige Male geschah ein Fehltritt und brachte unsere Dreieinigkeit gefährlich ins Wanken. Doch der gütige oberste Lenker hatte Mitleid mit uns und ließ nicht zu, daß die ehrwürdige Mutter und ich, der Königsbote, wie Tonnen diese Treppe hinabrollten, das zarte Nönnchen mit uns in die Tiefe reißend. Wohlbehalten, wenn auch atemlos, kamen wir schließlich unten an.
    Erst jetzt nahm ich wahr, daß wir Zuschauer hatten. Am Fuße der Treppe empfingen uns wohl an die dreißig, vierzig fromme Schwestern, und des Kicherns und Gackerns war kein Ende. Dann tauchte aber ein hagerer Pater auf, teilte die Schar und nahm sich der Mutter Äbtissin an, wobei er sie anbellte wie ein Wachhund. Irgendwie gelangten wir alle in die Kirche und hielten dort unsere Abendandacht. Das Magnifikat sang ich kräftig mit, doch während der folgenden Litanei überkam mich der Schlummer. Das Paternoster war schon vorüber, als eine lachende Christusbraut mich an der Nase zupfte und weckte.
    Wenn ich nicht irre, war es der Einäugige, der mich dann zu einer Hütte brachte, wo ich ein Strohlager vorfand. Meinen Reisesack warf er mir hinterher und fast an den Kopf. Ich sank auf der Stelle in Schlaf. Es war längst Nacht, als ich wahrnahm, daß sich jemand neben mich niederließ. Ich drehte mich zu ihm hin und streckte tastend den Arm aus. Da hörte ich Heikos trunkene Stimme:
    „Weg da! Laß mich! Hör auf! Nicht schon wieder …“
    Wir hatten Glück: Der Herr des klösterlichen Hühnerhofs stieß seinen ersten Weckruf unmittelbar vor unserer Hütte aus. Wir hoben die Köpfe aus dem Stroh und starrten uns an. Noch dämmerte es erst schwach, aber wir hatten denselben Gedanken. Im nächsten Augenblick sprangen wir auf. Heiko kannte den Weg zu den Ställen. Wir führten unsere Tiere heraus, befestigten das Gepäck, saßen auf. Am Himmel zeigte sich der erste rötliche Schimmer.
    Bei Sonnenaufgang waren wir längst auf der Straße. Hinter uns wurde zur Mette geläutet.

10
    D er Abt des Klosters des heiligen Dionysius, Bertram, war ein Greis von fast siebzig Jahren, der unter Gliederreißen, Gallenfieber, Verstopfung, Verkalkung und überhaupt allen möglichen Gebrechen litt, so daß er verständlicherweise ein mürrisches Wesen angenommen und an allem und jedem etwas zu nörgeln hatte. Er empfing mich auf seinem Bett sitzend, in Gegenwart eines Krankenbruders, der ihm die Beine bis zu den Lenden hinauf mit Wachssalbe einrieb und dann mit feuchten Tüchern umwickelte. Die Zelle war düster und kahl und entbehrte jeder Bequemlichkeit. Eine Lampe blakte, die unsere Schatten grotesk an die Wände warf. Es war schon spät. Der ehrwürdige Vater hatte mich nicht früher empfangen können, weil er zuvor noch einen Aderlaß und einen Einlauf bekommen hatte. Dies hatte ihn sehr geschwächt, und er war daher besonders mißgelaunt.
    „Du bist Königsbote, Bruder?“ sagte er, nachdem ich mich vorgestellt und ausgewiesen hatte. „Wozu kommst du hierher? Was willst du bei uns? Der König täte besser daran, uns nicht einen Mönch, sondern eine Hundertschaft Reisiger herzuschicken. Die könnten wir nämlich besser gebrauchen! Zum Beispiel, um einigen großen Herren, die zuviel Appetit auf Klostergut haben, ein bißchen Gottesfurcht beizubringen. Sie nehmen uns da ein Stück Wald … da eine Wiese … da eine Mühle … da ein Dorf. Und behaupten, daß es ihnen gehöre! Was sollen wir machen? Wir werden von Tag zu Tag ärmer. Wir haben kaum noch das tägliche Brot. Aber jeden Tag klopfen hier hundert Leute an: alle möglichen Reisenden, Mönche von sonstwoher, Pilger, Bettler, Kranke, Ausgeraubte. Sie fressen alles kahl wie die Heuschrecken. Geh hin, überzeug dich …“
    „Das habe ich

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