Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
könnte. Hab bitte auch Mitleid mit dem edlen Herrn, seinem Vater. Es soll dein Schade nicht sein …“
Damit ließ ich einen Denar in seine Hand gleiten.
Ich täuschte mich nicht. Wie alle Klosterpförtner, die es gewöhnt sind, sich die Leute genauer anzusehen und die Spreu vom Weizen zu sondern, hatte auch dieser ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Er schien sich tatsächlich zu erinnern.
„Vor etwa fünf Wochen, sagst du, Bruder? Ein Edler im roten Seidenmantel? Schwarzhaarig? Schnurrbärtig?“
„Sein Name – falls er ihn dir genannt hat – ist Gogo.“
„Und er ritt einen Rappen?“
„Wohl möglich. Das weiß ich nicht.“
„Merkwürdig, daß du das nicht weißt. Hast du dich nicht danach erkundigt, als du dich auf die Suche begabst?“
„Er pflegt die Pferde häufig zu wechseln. Alle naselang verkauft er eines, um gleich ein neues zu erwerben. Er liebt schnelle Pferde, sie sind seine größte Leidenschaft. Für Rappen hat er aber tatsächlich eine Vorliebe.“
Meine Unkenntnis, das Reittier des Gesuchten betreffend, machte den Bruder Pförtner mißtrauisch.
„Bist du etwa der Königsbote?“
„Was für ein Königsbote?“
„Nun … einer, der hier herumschnüffeln soll, als Mönch verkleidet. Und der vom König kommt.“
„Sehe ich aus, als ob ich vom König komme?“
Er maß mich mit einem langen Blick. Zum Glück sah meine zerdrückte Kutte, an der Strohhalme hingen, so schäbig aus, daß sie auch als Verkleidung für einen Mann des Königs zu schlecht war.
„Der, den du suchst, war hier, Bruder“, sagte er endlich.
„Wahrhaftig? Ich ahnte es …“
„Hat sich aber sehr schlecht benommen. Hat getrunken und Nonnen belästigt.“
„Er kann es also nicht lassen! Sein armer Vater hat leider recht gehabt. Dennoch geben wir die Hoffnung nicht auf. Er war also hier, dem Herrn sei Dank! Zog er am nächsten Morgen weiter?“
„Nicht erst am nächsten Morgen.“
„Ja, wann denn?“
„Bereits in der Nacht. Noch vor der Vigil.“
„Warum hatte er es so eilig?“
„Woher soll ich das wissen? Er klopfte mich plötzlich heraus, wollte fort.“
„Was sagte er?“
„Nichts. Gab mir nur heftige Zeichen, daß er hinaus wolle.“
„Und er hat gar nichts gesagt? Warum … und wohin …“
„Ach, ich weiß nicht! War ja noch halb im Schlaf. Vielleicht hat er auch etwas gesagt. Ich hab ihm nur schnell das Tor geöffnet, damit ich ihn loswurde.“
„Und er ritt also auf seinem Rappen davon.“
„Ein Schecke war's diesmal. Auf dem war er auch gekommen. Ein schönes Tier, das fiel mir gleich auf.“
„Und es war bestimmt mein junger Herr Gogo?“
„Seinen Namen hat er mir nicht genannt. Aber nach deiner Beschreibung war er's. So einer fällt ja auch auf … unter all dem Volk, das hier einkehrt.“
„Warum hat er es nur so eilig gehabt? Bist du sicher, daß er allein war? Der Schlingel hat doch nicht etwa eine Nonne entführt?“
„Nein, Bruder, das wäre mir aufgefallen. Das hätte ich auch zu verhindern gewußt. Er war allein. Sie suchten zwar eine am nächsten Morgen, aber die wird schon wieder aufgetaucht sein.“
„Und Gogos Freunde? Seine Gefolgsleute? Waren die überrascht, als sie merkten, daß er verschwunden war?“
„Das waren sie in der Tat. Sie wollten's erst gar nicht glauben. Schlugen mächtigen Lärm, durchsuchten alles. Dann aber zogen sie ab … wohin, weiß ich nicht.“
„Sag, Bruder … nimm mir die Frage nicht übel … Hat man in letzter Zeit vielleicht einen Leichnam gefunden? Könnte ein Mord geschehen sein?“
„Meinst du etwa, daß er die Schwester …?“
„Er ist reizbar und manchmal gewalttätig.“
„Sei ruhig, Bruder, es gibt keinen Leichnam“, sagte der Pförtner, wobei er mich noch einmal argwöhnisch musterte. „Ein Mord ist in unserem Kloster noch nie geschehen. Und nun halte mich nicht mehr von meinen Pflichten ab. Vielleicht hat es der junge Herr so eilig gehabt, weil Gott ihm ein Zeichen gegeben hat. Vielleicht ist er längst zu Hause und liegt seinem edlen Vater zu Füßen.“
„Deine Worte geben mir Trost, Bruder.“
„Vertrau nur auf Gott, er wird es richten!“
Ich vertraute aber lieber dem, was ich hörte und sah, und meine Neugier war nach diesem Gespräch noch größer geworden. Leider weilte der Bruder Prior, den die Nonne Maxentia als besonders eifrig bei der Suche nach dem verschwundenen Gogo erwähnt hatte, gerade auf einem der Klostergüter. Ich wandte mich an mehrere Brüder, die mir über
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