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Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Titel: Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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sie den Platz neben mir. Manchmal hat sie mich auch beiseite gestoßen und vor den Patres herabgesetzt und gedemütigt. Ach, es war eine schreckliche Zeit!“
    Die blaßblauen Äuglein der ehrwürdigen Mutter füllten sich mit Tränen, die schließlich überliefen und auf ihr Ordenskleid tropften. Ihre zitternde Hand griff nach dem Schöpflöffel. Schweigend leerten wir einen weiteren Becher.
    Ich stellte mir vor, wie Fausta mit polterndem Schritt das Kirchlein betrat; wie sie die neben ihr schlurfende, weinselig stammelnde Marcovefa mit dem Ellbogen wegstieß; wie ihr Herrscherblick über den Chor der Nonnen schweifte; wie sie das ‚Kyrie eleison‘ schmetterte, daß auf dem Altar die Kerzen flackerten und Gott im Himmel sich lieber die Ohren zuhielt, als daß er sich der armen Nonnen erbarmte.
    „Was tat sie euch noch an, gute Mutter?“ fragte ich mitleidig.
    „Ach, ich möchte darüber nicht reden. Schon die Erinnerung ist quälend.“
    „Erleichtert Euch! Führte sie Strafen ein?“
    „Für die geringsten Vergehen.“
    „Bußgesänge? Kniebeugen? Fußfälle?“
    „Das war das wenigste.“
    „Was denn noch?“
    „Wer zu spät zum officium kam, mußte die ganze Nacht auf den Altarstufen liegen. War eine nicht ordentlich verhüllt, wurde sie gleich in kaltes Wasser getaucht. Andere mußten im Wasser stehen und hundert Vaterunser hersagen. Oder mit den Armen das Kreuz machen und wie Tiere dazu heulen.“
    Die Mutter Marcovefa breitete die Arme, reckte den Hals und stieß zur Veranschaulichung ein paar schaurige Töne aus.
    Gleich ging die Tür auf, und die kleine Nonne erschien. Sie mußte draußen vor der Tür auf den Stufen gehockt haben.
    „Brauchst du Hilfe, ehrwürdige Mutter?“
    „Komm her, Paulella!“ befahl die Äbtissin.
    Das Nönnchen trippelte näher.
    „Zeige dem Vater, was dir die Fausta angetan hat!“
    „Oh nein!“ rief die Kleine erschrocken.
    Doch die Äbtissin hatte ihr schon das Obergewand und das Hemd angehoben und raffte beides fast bis zum Halse. Der schmale Rücken der Paulella wies Narben von Geißelhieben auf.
    „Da seht Ihr es! Und wofür? Weil sie mir einen Becher Wein gebracht hatte … gegen mein Unwohlsein. Arme Dulderin …“
    Einen Augenblick lang vergaß die ehrwürdige Mutter meine Anwesenheit und tätschelte mit ihrer zittrigen Hand die gleichfalls geschundenen Hinterbäckchen. Dann aber ließ sie die Kleider rasch fallen und gab Paulella ein Zeichen, sie möge uns wieder allein lassen.
    Schamrot und verwirrt lief das Nönnchen erst gegen den Türpfosten, fand aber schließlich den Weg hinaus.
    Die Äbtissin füllte selbst unsere Becher.
    „Wie ist es nun aber möglich, Mutter“, rief ich, „daß eine einzige canonica das ganze Kloster beherrschen konnte?“
    „Weil ihr die Unzufriedenen beistanden! Wie in der Welt da draußen die Männer, die einem Gefolgsherren dienen, bildeten sie ihre Gefolgschaft, treu und ergeben. Und jeden ihrer Befehle führten sie aus.“
    „Das heißt, eine kleine Gruppe tyrannisierte die ganze Gemeinschaft.“
    „Wenn Ihr es so nennen wollt, Vater …“
    „Ich möchte mit diesen Nonnen reden!“
    „Oh, warum nicht?“ Die Äbtissin warf einen hilfesuchenden Blick auf die hölzerne Maria mit dem Jesuskind. „Nur wird es nicht gleich … ich meine, nicht möglich sein. Schwester Valentina ist krank … Schwester Disciola klagt über Zahnweh … Schwester Licinia hat gerade ein Schweigegelübde …“
    „Ehrwürdige Mutter!“ Meine Zunge gehorchte nicht mehr so recht, dennoch zwang ich sie zu einer festen Rede. „Lassen wir doch mal solche läppischen Ausflüchte! Sprechen wir offen! Ich bin ein Freund und werde Euch nichts von dem, was Ihr sagt, zum Nachteil auslegen. Also heraus mit der Sprache! Wo sind die Nonnen?“
    Sie senkte den Kopf und schwieg. Schließlich sagte sie mit ersterbender Stimme:
    „Fort sind sie.“
    „Fort? Nun, das dachte ich mir. Wie viele sind es?“
    „Es sind sechs.“
    „Sind sie mit der Fausta auf Romfahrt gegangen?“
    „So ist es, Vater. Scheltet mich! Straft mich! Aber ich konnte sie nicht zurückhalten!“
    „Sagt lieber, daß Ihr froh wart, sie los zu sein! Dabei solltet Ihr wissen, daß Herr Karl, unser großer König, geboten hat, das Pilgern, Umherschweifen und Herumziehen der Weiber … ich meine, der Nonnen solle ein Ende haben …“
    „Ich weiß es! Ich weiß es ja!“ jammerte sie.
    „Um so besser! Und ich habe Euch noch einmal pflichtgemäß und nachdrücklich darauf

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