Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Lagernden fiel. Die meisten schnarchten bereits, als ich, über Köpfe und Füße steigend, zu meinem Platz strebte. Andere unterhielten sich murmelnd. Das Haus war nicht überfüllt, und es war offenbar eine ruhige Nacht.
Ich hatte mich kaum niedergelegt, als sich der Wolfsjäger neben mir erhob. Zuerst dachte ich, er wolle eines Bedürfnisses wegen nach draußen gehen. Aber er näherte sich der Zwischenwand, wo er stehenblieb und auf etwas zu warten schien. Der Mönch nahm keine Notiz von ihm und saß weiter so reglos auf seinem Stuhl, als schliefe er. Ich rollte mich auf dem Stroh zusammen, doch behielt ich die Augen offen in Erwartung dessen, was wohl geschehen würde.
Nach einer kurzen Weile schob sich eine plumpe Gestalt, ohne Zweifel jedoch keine Frau, aus dem hinteren Raum durch die schmale Wandöffnung und verlor sich irgendwo zwischen den Lagernden. Nun bewegte sich auch der Jäger. Nach drei Schritten verschwand er hinter dem Durchgang. Dabei war mir, als hätte ich etwas blinken sehen. War eine Münze in den Schoß des wie schlafend dasitzenden Mönchs gefallen?
Ich drehte mich zu Heiko um und sah, daß auch er den Vorgang beobachtet hatte.
„Huren, Vater“, sagte er leise.
„Was? Huren?“ flüsterte ich zurück.
„Es sind zwei. Sie sind vorhin angekommen, zusammen mit Spielleuten. Einer der Kerle ging hier herum. Der Jäger wurde gleich mit ihm handelseinig.“
„Und der Mönch? Mir schien …“
„Das ist für den heiligen Dionysius, den Klosterpatron. Damit er im Himmel ein Auge zudrückt.“
„Unglaublich! Aber sind dort hinter der Wand nicht noch andere Weiber?“
„Ja, ein paar Bäuerinnen mit ihren Kindern. Doch die kümmert das nicht, die schlafen ja. Seht mal, da kommt schon wieder einer heraus. Es ist der zehnte oder zwölfte.“
„Wartest du etwa darauf, daß du selbst an die Reihe kommst?“
„Nein, Vater, das nicht. Ich hab noch genug von den Marien. Bei denen war es auch lustiger, und es hat nichts gekostet.“
Ich seufzte nur.
Lange konnte ich nicht einschlafen. In jener Nacht vor etwas über einem Monat hatte die Unzucht sich nicht einmal hinter die Wand verkrochen. In dem Raum, wo wir uns befanden, vielleicht an der Stelle, wo ich jetzt lag, war der Mann im roten Mantel, der jetzt einen Namen hatte, Gogo, zu Fausta getreten, um sie zum Trinken aufzufordern. Zweifellos wurde er rasch zudringlich, worauf sie dann mit ihm hinausging. Wohin? In den Klostergarten? Hinter das Haus! War diese Frau tatsächlich bereit, sich einem Fremden hinzugeben? Wie aber konnten die beiden verschwinden? Flohen sie nachts in aller Heimlichkeit? Hielten sie sich versteckt, als der Pilgertrupp aufbrach? Ließen sie ihr Gepäck zurück? Was wurde aus dem Pferd des Mannes?
Ich hatte von Abt Bertram die Erlaubnis erwirkt, seine Mönche zu befragen. Er hatte sie mir nur widerstrebend erteilt. Aufgrund der königlichen Vollmacht, die ich besaß, konnte er sie jedoch kaum verweigern.
Gleich am Morgen ging ich zum Bruder Pförtner.
Ich fing mit ihm eine Plauderei an, so wie es Leute tun, die unterwegs sind. Befragte ihn über den Zustand der Wege, erkundigte mich nach der nächsten Herberge, holte auch seine Meinung über das Wetter ein. Er wußte nicht, daß ich eine Amtsperson war, denn wir hatten am Tage vorher nur als einfache Reisende, die um Unterkunft baten, die Klosterpforte durchschritten. Auch jetzt blieb ich lieber unerkannt und tat gut daran, wie sich herausstellen sollte. Vielmehr erzählte ich ihm eine Geschichte.
Ein edler Herr, dessen geistlicher Beistand ich sei, läge sterbenskrank darnieder, log ich ihm vor. Dieser Unglückliche habe nur einen einzigen Sohn, mit dem er sich aber vor ein paar Wochen überworfen habe. Im Zorn sei der junge Edle davongeritten, begleitet von ein paar treuen Gefolgsmännern. Kein Ziel habe er genannt – mit Ausnahme eines erhabenen: durch Heldentaten in der Fremde seinen Vater, der ihn für einen Taugenichts hielt, zu beschämen. Der Alte bereue nun seine Heftigkeit, es verlange ihn nach seinem Sohn, dem einzigen Erben des reichen Besitzes. So sei ich aufgebrochen, um den jungen Edlen zu suchen, sei seiner Spur durch Herrensitze und Burgen, Klöster und einfache Wirtshäuser gefolgt – bis hierher.
„Hilf mir, Bruder!“ schloß ich in flehendem Ton. „Versuche dich bitte zu erinnern! Wenn ich wüßte, daß er hier war, könnte ich hoffen, ihn bald zu finden. Dann hätte ich einen Anhaltspunkt dafür, wohin er sich weiter gewandt haben
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