Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Titel: Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
in der Finsternis. Bosheit und Heuchelei, Niedertracht und Treulosigkeit begegneten mir auf Schritt und Tritt. Ich watete durch stinkende Sümpfe, wo mir der Pesthauch des Verbrechens entgegenschlug. Es gibt keinen Ort mehr, o Herr, wohin ein Christ seinen Fuß setzen kann, ohne bedroht zu sein von Schwertern, Dolchen und Gift. Ob im Haus eines Bischofs, ob hinter den Mauern eines Klosters … überall lauert das Verbrechen. Menschen, die laut in der Öffentlichkeit deinen Namen preisen, vergessen ihn in der Stille und tun die Werke des Bösen. Kein Stand und kein Geschlecht sind davon ausgenommen. Solche, die man für edel hält, bedienen sich der gemeinsten Mittel, und die man als den schwächeren Teil der Menschheit betrachtet, sind verschlagen und blutgierig wie wilde Bestien. Laß mich bitten, Allmächtiger, für ein paar arme Seelen! Selber nicht frei von Sünde, wurden sie Opfer scheußlicher Untaten. Mörderhand löschte sie aus und zwang sie, den Weg in die Ewigkeit unvorbereitet anzutreten. Ein junger Edler mit Namen Gogo ist der erste, für den ich bitten will. Ein Straßenräuber ermordete ihn. Dies ist alles, was von ihm übrigblieb!“
    Ich holte die Fibel hervor, um sie auf der Altarstufe niederzulegen. Mit gespielter Heftigkeit wußte ich es aber so einzurichten, daß sie ein Stück von mir fortrollte und erst unmittelbar vor der Fausta liegenblieb.
    Dies verursachte ein leises Geräusch, dem vollkommene Stille folgte. Ich blickte weiter geradeaus zum Altar hin. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, daß meine Nachbarin sich nicht rührte, daß sie mit keiner Kopfbewegung, keiner Geste ein Wiedererkennen oder Erschrecken zeigte. Völlig reglos kniete sie an ihrem Platz. Sie wagte nicht einmal, die Fibel anzufassen und von sich wegzuschieben. Ich konnte ihre Augen nicht sehen, doch war ich sicher, daß sie das kleine Ding anstarrte. Ich ließ es liegen, wo es war, und fuhr fort:
    „Verzeih Gogo seine Sünden, Herr, und nimm ihn auf in dein Reich, denn er starb als ein Held nach tapferer Gegenwehr. Auch mehrere seiner Getreuen sanken mit ihm dahin. Erbarme dich ihrer! Und erbarme dich ihres Mörders, auch für ihn erflehe ich Gnade! Er war ein Unglücklicher, ein Sklave, von einem grausamen Herrn verstümmelt, entstellt, von unbändigem Rachedurst getrieben. Sein Name war Corbus, man nannte ihn Ohnelippe, und auch er weilt nicht mehr unter den Lebenden. Denn aus Triumphgefühl und Eitelkeit schmückte er sich mit dem Namen, den Kleidern und Waffen des ermordeten Gogo und begab sich auf eine Reise, die seine letzte werden sollte. Sein Schicksal ereilte ihn in einer Klosterherberge. Eine Frau, die dem Corbus Ohnelippe gefiel, lockte ihn in den Pferdestall und stieß ihm dort zweimal einen Dolch in den Leib. Er war ein großer Sünder, o Herr, doch erbarme dich seiner!“
    Ich schwieg abermals, und wieder war es so still, daß man hören konnte, wie das Kerzenwachs von den Leuchtern tropfte.
    Die Fausta machte eine Bewegung, als wolle sie aufstehen. Aber als ob es ihr nicht gelingen wollte, hob sie nur das eine Knie auf die untere der beiden Altarstufen und verharrte so, halb kniend, halb liegend. Den Kopf hielt sie von mir abgewandt, die langen Strähnen des blonden Haars berührten den Stein.
    Mir fiel plötzlich auf, daß von Sallustus nichts mehr zu hören war. Vorsichtig blickte ich nach links. Da war mir, als stünde er dort an einen Pfeiler gedrückt, zehn Schritte entfernt, bewegungslos, das Gesicht uns zugewandt.
    Ich tat immer noch so, als betete ich.
    „Deiner Gnade empfehle ich auch diese Mörderin!“ sagte ich mit erhobener Stimme. „Denn eine Getriebene ist sie, eine Besessene, fromm und beständig im Glauben, doch ohne Liebe, mit kaltem Herzen, unfähig, ihren Haß zu beherrschen. Erbarme dich ihrer, o Herr! Ihr einziger Sohn starb durch Gift, und sie glaubte, den Anstifter dieser Untat zu kennen. So wahnhaft wie sie schon vorher aus seiner Nähe in ein Kloster geflohen war, so wahnhaft begann sie ihn jetzt zu verfolgen. Der Versuch, einen ihr ergebenen Priester zum Mord an ihrem Feind zu bewegen, schlug fehl. Da faßte sie den Entschluß, es selbst zu tun. Mit einem Pilgertrupp verließ sie das Kloster, zunächst wohl noch ohne genauen Plan. Erst die Begegnung mit dem Banditen zündete das verderbliche Feuer. Corbus Ohnelippe verdeckte seine Verstümmelungen unter Perücke und falschem Schnurrbart. Sie beraubte den Leichnam dieser Tarnung, nahm auch die Kleider und Waffen und verließ

Weitere Kostenlose Bücher