Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
kein sterblicher Mann vermöchte mit seinem Verstande
Solch ein Wunder zu tun, ihm hülfe denn einer der Götter,
Welcher leicht, wie er will, zu Greisen und Jünglingen umschafft!
Siehe, nur eben warst du ein Greis und häßlich bekleidet,
Jetzo den Göttern gleich, die den weiten Himmel bewohnen!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Deinen geliebten Vater, Telemachos, welcher nun heimkehrt,
Mußt du nicht allzusehr anstaunen oder bewundern.
Wahrlich, in Ithaka kommt hinfort kein andrer Odysseus,
Sondern ich bin der Mann, der nach vielem Jammer und Elend
Endlich im zwanzigsten Jahr in seine Heimat zurückkehrt.
Aber dies ist das Werk der siegenden Göttin Athene,
Welche mich, wie sie will, verwandelt; denn sie vermag es!
Darum erschein ich jetzo zerlumpt wie ein Bettler, und jetzo
Wieder in Jünglingsgestalt, mit schönen Gewanden bekleidet.
Denn leicht können die Götter, des weiten Himmels Bewohner,
Jeden sterblichen Mann erniedrigen oder erhöhen.
Also sprach er und setzte sich hin. Da umarmte der Jüngling
Seinen herrlichen Vater mit Inbrunst, bitterlich weinend.
Und in beiden erhob sich ein süßes Verlangen zu trauern.
Ach! sie weineten laut und klagender noch als Vögel,
Als scharfklauichte Geier und Habichte, welchen der Landmann
Ihre Jungen geraubt, bevor sie flügge geworden:
So zum Erbarmen weinten sie beide Tränen der Wehmut.
Über der Klage wäre die Sonne niedergesunken,
Hätte Telemachos nicht zu seinem Vater geredet:
Und in welcherlei Schiffe, mein Vater, brachten die Schiffer
Dich nach Ithaka her? Was rühmen sich jene für Leute?
Denn unmöglich bist du doch hier zu Fuße gekommen!
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.
Siehe, mich brachte das Schiff der segelberühmten Phaiaken,
Welche jeden geleiten, der kommt und um Hilfe sie anfleht.
Diese brachten im Schlafe mich über die Wogen und setzten
Mich in Ithaka aus und gaben mir teure Geschenke,
Erzes und Goldes die Meng und schöngewebete Kleider.
Dieses liegt, nach dem Willen der Götter, in Höhlen verborgen.
Aber ich kam hieher auf Befehl der hohen Athene,
Daß wir uns über den Tod der Feindlichgesinnten beraten.
Auf denn, verkündige mir die Zahl der trotzigen Freier,
Daß ich wisse, wieviel und was für Leute so trotzen.
Denn ich muß zuvor in meiner unsträflichen Seele
Überlegen, ob wir allein, ohn andere Freunde,
Streiten können, oder ob’s nötig sei, Hilfe zu suchen.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Vater, ich habe viel von dem großen Ruhme gehöret
Deines Mutes im Kampf und deiner Weisheit im Rate,
Aber du sprachst zu kühn! Ich erstaune! Wie wär es doch möglich,
Daß zween Männer allein so viele Starke bekämpften?
Siehe, der Freier sind nicht zehn nur oder nur zwanzig,
Sondern bei weitem mehr! Berechne du selber die Menge:
Aus Dulichions Fluren sind zweiundfünfzig erlesne
Mutige Jünglinge hier, von sechs Aufwärtern begleitet;
Aus der bergichten Same sind vierundzwanzig in allem;
Aus Zakynthos’ Gefilden sind zwanzig achaiische Fürsten;
Und aus Ithaka selbst sind zwölfe der tapfersten Männer.
Diesen großen Haufen begleitet Medon, der Herold,
Und der göttliche Sänger und zween erfahrene Köche.
Wollten wir diesen allen im Hause begegnen, du möchtest
Traurig und schreckenvoll die Strafe der Trotzigen enden.
Überlege vielmehr, ob du noch andere Freunde
Finden kannst, die uns mit freudigem Mute beschützen.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Nun, ich verkündige dir, merk auf und höre die Worte!
Denke nach: wird uns Athene und Vater Kronion
Gnügen? Oder ist’s nötig, noch andere Hilfe zu suchen?
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Wahrlich, mächtige Helfer sind jene, welche du nennest!
Denn sie sitzen hoch in den Wolken und herrschen mit Allmacht
Über die Menschen auf Erden und alle unsterblichen Götter.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Diese werden gewiß in der schrecklichen Stunde des Kampfes
Uns nicht lange verlassen, wann nun in meinem Palaste
Zwischen den Freiern und uns die Gewalt des Krieges entscheidet.
Aber gehe du jetzo, sobald der Morgen sich rötet,
Heim und bleib in dem Schwarm der übermütigen Freier.
Dorthin folg ich dir bald, geführt von dem Hirten Eumaios
Und wie ein mühebeladner, bejahrter Bettler gestaltet.
Werden mich dann im Hause die Freier
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