Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Stimme der Weisheit:
Jüngling, nicht ohne Gott flog dir zur Rechten der Vogel;
Denn ich erkenn an ihm die heilweissagenden Zeichen!
Außer eurem Geschlecht erhebt sich nimmer ein König
In der Ithaker Volk; auf euch ruht ewig die Herrschaft!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt!
Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken
Deinen Freund, und jeder Begegnende priese dich selig!
Also sprach er und rief dem treuen Gefährten Peiraios:
Klytios’ Sohn, Peiraios, du bist von allen Gefährten,
Die mich nach Pylos gebracht, mir immer am meisten gewillfahrt.
Führe mir denn auch nun zu deinem Hause den Fremdling,
Ehr und bewirt ihn dort, bis ich heimkehre, mit Sorgfalt!
Und der lanzenberühmte Peiraios sagte dagegen:
Wenn du auch noch so lange, Telemachos, draußen verweilest,
Gerne bewirt ich den Gast, auch soll es an nichts ihm gebrechen!
Also sprach er und trat in das Schiff und befahl den Gefährten,
Einzusteigen und schnell die Seile vom Ufer zu lösen.
Und sie traten ins Schiff und setzten sich hin auf die Bänke.
Aber Telemachos band um die Füße die prächtigen Sohlen,
Nahm dann die mächtige Lanze mit scharfer eherner Spitze
Von des Schiffes Verdeck. Die andern lösten die Seile,
Stießen ab und fuhren zur Stadt mit dem schwärzlichen Schiffe,
Wie es Telemachos hieß, der geliebte Sohn von Odysseus.
Dieser eilte von dannen mit hurtigen Füßen zum Hofe,
Wo die Herden der Schwein’ itzt ruheten, welche der Sauhirt
Schützte, der gute Mann, der seinen Herren so treu war.
XVI. Gesang
Ankunft des Telemachos in des Sauhirten Gehege. Während Eumaios der Königin die Botschaft bringt, entdeckt sich Odysseus dem Sohne und verabredet der Freier Ermordung. An der Stadt landen Telemachos’ Genossen und drauf seine Nachsteller, die ihn in Ithaka selbst zu ermorden beschließen. Des Sauhirten Rückkehr.
Frühe bereitete schon mit Odysseus der treffliche Sauhirt
In der Hütte das Mahl bei angezündetem Feuer,
Sandte darauf die Hirten mit ihren Schweinen zu Felde.
Und Telemachos kam, ihn umhüpften die wachsamen Hunde
Schmeichelnd und bellten nicht. Der göttergleiche Odysseus
Sah die schmeichelnden Hund’ und hörte des Kommenden Fußtritt,
Wandte sich schnell zu Eumaios und sprach die geflügelten Worte:
Sicher, Eumaios, besucht dich einer von deinen Gesellen
Oder auch sonst ein Bekannter; denn ihn umhüpfen die Hunde
Schmeichelnd und bellen nicht; auch hör ich des Kommenden Fußtritt.
Als er noch redete, siehe, da stand an der Schwelle des Hauses
Sein geliebtester Sohn. Voll Schrecken erhub sich der Sauhirt;
Seinen Händen entsank das Geschirr, das er eben gebrauchte,
Funkelnden Wein zu mischen; er eilte dem Fürsten entgegen,
Küßte sein Angesicht und beide glänzenden Augen,
Beide Hände dazu; und Tränen umflossen sein Antlitz.
Wie den geliebten Sohn ein gütiger Vater bewillkommt,
Ihn, der im zehnten Jahr aus fernen Landen zurückkehrt,
Ach, den einzigen, spätgebornen, mit Kummer erzognen:
Also umarmte den schönen Telemachos jetzo der Sauhirt
Und bedeckt’ ihn mit Küssen, als wär er vom Tod erstanden.
Und lautweinend begann er und sprach die geflügelten Worte:
Kommst du, Telemachos, kommst du, mein süßes Leben? Ich hoffte
Nimmer dich wiederzusehn, da du nach Pylos geschifft warst!
Komm doch herein, du trautes Kind, daß mein Herz sich erfreue
Deines Anblicks; du! der erst aus der Fremde zurückkommt!
Oft besuchst du ja nicht uns Hirtenleut’ auf dem Felde,
Sondern bleibst in der Stadt; denn du findest ein eignes Vergnügen,
Stets den verwüstenden Schwarm der bösen Freier zu sehen!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, dieses geschehe; denn deinethalben nur komm ich,
Um dich wieder mit Augen zu sehn und von dir zu erfahren,
Ob die Mutter daheim noch weile oder der andern
Einen zum Manne gewählt und nun das Lager Odysseus’,
Aller Betten beraubt, von Spinneweben entstellt sei.
Ihm antwortete drauf der männerbeherrschende Sauhirt:
Allerdings weilt jene mit treuer, duldender Seele
Noch in deinem Palast, und immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin und unter Tränen die Nächte!
Also sprach er und nahm ihm die eherne Lanze, da jener
Über die steinerne Schwell in seine Kammer hineintrat.
Vor dem Kommenden wich sein Vater Odysseus vom Sitze;
Aber Telemachos hielt ihn und sprach mit freundlicher Stimme:
Fremder Mann,
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