Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Odysseus
Zeugte nur mich, den er noch ungenossen daheim ließ!
Diesem erfüllen anitzt unzählige Feinde die Wohnung.
Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,
Same, Dulichion und der waldbewachsnen Zakynthos,
Und so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen,
Alle werben um meine Mutter und zehren das Gut auf.
Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung
Nicht ausschlagen und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger
All mein Gut und werden in kurzem mich selber zerreißen!
Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter.
Väterchen, eile du schnell zu der klugen Penelopeia,
Sag ihr, daß ich gesund aus Pylos wieder zurückkam.
Ich will indes hier bleiben, bis du heimkehrest. Doch bring ihr
Ja die Botschaft allein, und keiner der andern Achaier
Höre dich; denn es trachten mir viele das Leben zu rauben!
Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:
Gut, ich verstehe dich schon, das sind auch meine Gedanken.
Aber verkündige mir und sage die lautere Wahrheit:
Soll ich auf diesem Weg auch dem armen Laertes die Botschaft
Bringen, welcher bisher, aus Gram um seinen Odysseus,
Selber das Land bestellte, doch stets mit den Knechten des Hauses
Aß und trank, sooft die Begierde des Herzens ihn antrieb?
Aber seit du von hinnen zur göttlichen Pylos geschifft warst,
Sagt man, hab er nicht mehr gegessen oder getrunken,
Noch auf die Wirtschaft gesehn; in unaufhörlicher Schwermut
Sitzt er und härmt sich ab, daß die Haut an den Knochen verdorret.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Traurig! Doch müssen wir jetzo in seinem Kummer ihn lassen.
Denn wenn alles sogleich, wie es Sterbliche wünschen, geschähe,
Wahrlich, so wünschten wir vor allem des Vaters Zurückkunft!
Aber kehre zurück, sobald du’s verkündet, und schweife
Nicht auf dem Lande herum zu jenem. Doch sage der Mutter,
Daß sie eilend zu ihm die treue Schaffnerin heimlich
Sende; sie kann es ja auch dem alten Greise verkünden.
Also sprach er und trieb ihn. Der Sauhirt langte die Sohlen,
Band sie unter die Füß’ und eilete. Aber Athene
Ward des Hirten gewahr, der aus dem Gehege zur Stadt ging,
Und sie nahete sich und schien nun plötzlich ein Mädchen,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit,
Stand an der Türe des Hofs und erschien dem edlen Odysseus.
Aber Telemachos sah und merkte nichts von der Göttin;
Denn nicht allen sichtbar erscheinen die seligen Götter:
Nur die Hunde sahn sie und bellten nicht, sondern entflohen
Winselnd und zitternd vor ihr nach der andern Seite des Hofes.
Und sie winkte. Den Wink verstand der edle Odysseus,
Ging aus der Hütte hinaus vor die hohe Mauer des Hofes.
Stellete sich vor die Göttin. Da sagte Pallas Athene:
Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,
Rede mit deinem Sohn und gib dich ihm zu erkennen,
Daß ihr beide, den Freiern ein blutiges Ende bereitend,
Zu der berühmten Stadt der Ithaker wandelt. Ich selber
Werd euch nicht lange verlassen, mich drängt die Begierde des Kampfes.
Also sprach die Göttin und rührt’ ihn mit goldener Rute.
Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock
Wieder Odysseus’ Brust, und Hoheit schmückt’ ihn und Jugend;
Brauner ward des Helden Gestalt und voller die Wangen;
Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken.
Hierauf eilte die Göttin von dannen. Aber Odysseus
Ging zurück in die Hütte; mit Staunen erblickte der Sohn ihn,
Wandte die Augen hinweg und fürchtete, daß er ein Gott sei.
Und er redet’ ihn an und sprach die geflügelten Worte:
Anders erscheinst du mir jetzt, o Fremdling, als vormals, auch hast du
Andere Kleider an; die ganze Gestalt ist verwandelt!
Wahrlich, du bist ein Gott, des weiten Himmels Bewohner!
Sei uns gnädig! Wir wollen auch liebliche Opfer dir bringen
Und Geschenke von köstlichem Gold! Erbarme dich unser!
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Wahrlich, ich bin kein Gott und keinem Unsterblichen ähnlich,
Sondern ich bin dein Vater, um den du so herzlich dich grämest
Und so viele Schmach von trotzigen Männern erduldest.
Also sprach er und küßte den Sohn; und über die Wange
Stürzten die Tränen zur Erde, die lange verhaltenen Tränen.
Aber Telemachos stand noch staunend und konnte nicht glauben,
Daß es sein Vater sei; und nun antwortet’ er also:
Nein! Du bist nicht mein Vater Odysseus, sondern ein Dämon
Täuscht mich, daß ich noch mehr mein großes Elend beseufze.
Denn
Weitere Kostenlose Bücher