Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
mancher der übermütigen Freier:
Übel, Antinoos, tatst du, den armen Fremdling zu werfen!
Unglückseliger! Wenn er nun gar ein Himmlischer wäre!
Denn oft tragen die Götter entfernter Fremdlinge Bildung;
Unter jeder Gestalt durchwandeln sie Länder und Städte,
Daß sie den Frevel der Menschen und ihre Frömmigkeit schauen.
Also sprachen die Freier, allein er verachtete solches.
Aber Telemachos schwoll das Herz von großer Betrübnis,
Als er ihn warf, doch netzt’ ihm keine Träne die Wangen,
Sondern er schüttelte schweigend das Haupt und sann auf Verderben.
Auch in der Kammer vernahm es die kluge Penelopeia,
Als man ihn warf im Saal, und redete unter den Weibern:
Also treffe dich selbst der bogenberühmte Apollon!
Aber die Schaffnerin Eurynome gab ihr zur Antwort:
Ja! Wenn die Sache, mein Kind, nach unsern Wünschen geschähe,
Keiner von diesen erlebte die goldene Röte des Morgens!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Mutter, verhaßt sind mir alle, denn alle trachten nach Unglück!
Aber Antinoos gleicht doch am meisten dem schwarzen Verhängnis!
Denn es wanket im Saal ein unglückseliger Fremdling
Bittend umher bei den Männern, ihn zwingt der äußerste Mangel;
Und die übrigen füllten ihm alle den Ranzen mit Gaben,
Er nur warf ihm am Hals auf die rechte Schulter den Schemel.
Also redete sie, umringt von dienenden Weibern,
Sitzend in ihrer Kammer. Nun aß der edle Odysseus,
Und sie berief zu sich den edlen Hirten und sagte:
Eile schnell in den Saal, Eumaios, und heiße den Fremdling
Zu mir kommen. Ich möcht ihn ein wenig sprechen und fragen,
Ob er etwa gehört von dem leidengeübten Odysseus
Oder ihn selber gesehn; denn er scheint viel Länder zu kennen.
Ihr antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:
Schwiegen nur die Achaier, o Königin, drinnen im Saale,
Wahrlich, er würde dein Herz durch seine Reden erfreuen!
Denn ich hatt ihn bei mir drei Tag’ und Nächt’ in der Hütte,
Wo er zuerst ankam, nachdem er vom Schiffe geflohn war;
Und doch hat er mir nicht sein Leiden alles erzählet.
So aufmerksam ein Mann den gottbegeisterten Sänger
Anschaut, welcher die Menschen mit reizenden Liedern erfreuet
(Voller Begierde horcht die Versammlung seinem Gesange):
Ebenso rührt’ er mein Herz, da er bei mir saß in der Hütte.
Und er saget’, er sei durch seinen Vater ein Gastfreund
Von Odysseus und wohne in Kreta, Minos’ Geburtsland;
Und von dannen komm er nun hier, durch mancherlei Trübsal
Weiter und weiter gewälzt; auch hab er gehört, daß Odysseus
Nahe bei uns im fetten Gebiet der thesprotischen Männer
Leb und mit großem Gut heimkehre zu seinem Palaste.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Geh und ruf ihn hieher, damit er mir selber erzähle.
Jene mögen indes vor der Türe sitzen und scherzen
Oder auch dort im Saale, da ihre Herzen vergnügt sind.
Denn ihr eigenes Gut liegt unversehrt in den Häusern,
Speise und süßer Wein, und nähret bloß das Gesinde.
Aber sie schalten von Tage zu Tag in unserem Hause,
Schlachten unsere Rinder und Schaf und gemästeten Ziegen
Für den üppigen Schmaus und schwelgen im funkelnden Weine
Ohne Scheu, und alles wird leer; denn es fehlt uns ein solcher
Mann, wie Odysseus war, die Plage vom Hause zu wenden.
Käm Odysseus zurück in seine Heimat, er würde
Bald mit seinem Sohne den Frevel der Männer bestrafen!
Also sprach sie, da nieste Telemachos laut, und ringsum
Scholl vom Getöse der Saal. Da lächelte Penelopeia,
Wandte sich schnell zu Eumaios und sprach die geflügelten Worte:
Gehe mir gleich in den Saal, Eumaios, und rufe den Fremdling!
Siehst du nicht, wie mein Sohn mir alle Worte beniest hat?
Ja, nun werde der Tod das unvermeidliche Schicksal
Aller Freier, und keiner entfliehe dem blutigen Tode!
Eins verkünd ich dir noch, bewahre dieses im Herzen:
Wann ich merke, daß jener mir lautere Wahrheit erzählet,
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden.
Sprach’s und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen,
Trat vor Odysseus hin und sprach die geflügelten Worte:
Fremder Vater, dich läßt die kluge Penelopeia
Rufen, Telemachos’ Mutter; denn ihre Seele gebeut ihr,
Wegen des Mannes zu fragen, um den sie so herzlich betrübt ist.
Wann sie merkt, daß du ihr lautere Wahrheit erzählest,
Will sie mit Rock und Mantel dich kleiden, die du am meisten
Nötig hast. Denn Speise, den Hunger zu stillen, erlangst du
Leicht durch Betteln im Volk, es gebe
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