Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
dir jeder nach Willkür.
Ihm antwortete drauf der herrliche Dulder Odysseus:
Gern erzählt ich nun gleich, Eumaios, die lautere Wahrheit
Vor Ikarios’ Tochter, der klugen Penelopeia;
Denn viel weiß ich von ihm: wir duldeten gleiches Verhängnis.
Aber ich fürchte nur der bösen Freier Versammlung,
Deren Trotz und Gewalt den eisernen Himmel erreichet.
Denn jetzt eben, da jener mich warf, daß der Schmerz mich betäubte,
Mich, der kein Böses tat und bittend im Saale herumging,
Hat mich Telemachos weder noch irgendein andrer verteidigt.
Sage denn Penelopeien, sie möcht in ihren Gemächern
Harren, wie sehr sie verlangt, bis erst die Sonne gesunken.
Alsdann frage sie mich nach ihres Mannes Zurückkunft,
Nahe beim Feuer mich setzend; denn meine Kleider sind elend.
Dieses weißt du auch selbst, du warst mein erster Beschützer.
Sprach’s, und der Sauhirt eilte, sobald er die Rede vernommen.
Als er die Schwelle betrat, da fragte Penelopeia:
Bringst du ihn nicht, Eumaios, warum bedenkt sich der Fremdling?
Hält ihn etwa die Furcht vor Gewalttat oder die Scham ab,
Durch den Palast zu gehn? Ein schamhafter Bettler ist elend!
Ihr antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine:
Was er sagt, hat Grund; so würd auch ein anderer denken,
Um den Trotz zu vermeiden der übermütigen Männer.
Darum bittet er, harre, bis erst die Sonne gesunken.
Auch für dich selber ist der Abend bequemer, o Fürstin,
Daß du den fremden Mann allein befragest und hörest.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Wer der Fremdling auch sei, so denkt er nicht unvernünftig;
Denn an keinem Orte, den sterbliche Menschen bewohnen,
Üben trotzige Männer so ausgelassene Greuel!
Also redete sie. Drauf ging der treffliche Sauhirt
Zu der Freier Versammlung, da sein Gewerbe bestellt war;
Und er neigte das Haupt zu Telemachos, redete leise,
Daß es die andern nicht hörten, und sprach die geflügelten Worte:
Lieber, ich gehe nun weg, die Schwein’ und das andre zu hüten,
Dein und mein Vermögen; du sorg indessen für dieses.
Aber vor allen erhalte dich selbst und siehe dich wohl vor,
Daß dir kein Böses geschehe; denn viele sinnen auf Unglück.
Doch Zeus rotte sie aus, bevor sie uns Schaden bereitet!
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Väterchen, also geschehe, doch warte bis gegen den Abend.
Morgen früh komm wieder und bring die gemästeten Opfer;
Für das übrige laß mich und die Unsterblichen sorgen.
Sprach’s, und der Sauhirt setzte sich auf den zierlichen Sessel.
Und nachdem er sein Herz mit Trank und Speise gesättigt,
Eilt’ er zurück zu den Schweinen, den Hof des Hauses verlassend,
Wo die schwelgenden Freier sich schon beim Tanz und Gesange
Freuten; denn jetzo neigte der Tag sich gegen den Abend.
XVIII. Gesang
Odysseus kämpft mit dem Bettler Iros. Amphinomos wird umsonst gewarnt. Penelopeia besänftigt die Freier durch Hoffnung und empfängt Geschenke. Odysseus von den Mägden beleidigt, von Eurymachos verhöhnt und geworfen. Die Freier gehn zur Ruhe.
Jetzo kam ein Bettler von Ithaka, welcher die Gassen
Haus bei Haus durchlief, ein weitberüchtigter Vielfraß:
Immer füllt’ er den Bauch mit Essen und Trinken und hatte
Weder Stärke noch Kraft, so groß auch seine Gestalt war.
Dieser hieß Arnaios; denn also nannt ihn die Mutter
Bei der Geburt; allein die Jünglinge nannten ihn Iros,
Weil er gerne mit Botschaft ging, wenn es einer verlangte.
Dieser kam, Odysseus von seinem eigenen Hause
Wegzutreiben; er schalt ihn und sprach die geflügelten Worte:
Geh von der Türe, du Greis, daß man nicht beim Fuße dich schleppe!
Merkst du nicht, wie man rings mit den Augenwimpern mir zuwinkt,
Dich von hinnen zu schleppen? Allein ich scheue mich dennoch.
Auf denn! oder es kommt noch zwischen uns beiden zum Faustkampf!
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
Elender, hab ich doch nimmer mit Wort oder Tat dich beleidigt!
Auch mißgönn ich’s dir nicht, wieviel dir einer auch schenke.
Und die Schwelle hat Raum für uns beide. Du mußt nicht so neidisch
Sehn bei anderer Milde; du scheinst mir ein irrender Fremdling,
Eben wie ich; der Reichtum kommt von den seligen Göttern.
Aber fordre mich nicht so übermütig zum Faustkampf,
Daß ich nicht zürn und dir, trotz meines Alters, mit Blute
Brust und Lippen besudle! Dann säß ich morgen vermutlich
Noch geruhiger hier; denn schwerlich kehrtest du jemals
Wieder zurück in das Haus des Laertiaden
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