Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
nimmerverblühende Jugend.
Aber kein Himmlischer mag dem wetterleuchtenden Gotte
Zeus entgegen sich stellen, noch seinen Willen vereiteln.
Mög er denn gehn, wo ihn des Herrschers Wille hinwegtreibt,
Über das wilde Meer! Doch senden werd ich ihn nimmer,
Denn mir gebricht es hier an Ruderschiffen und Männern,
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Aber ich will ihm mit Rat beistehn und nichts ihm verhehlen.
Daß er ohne Gefahr die Heimat wieder erreiche.
Ihr antwortete drauf der rüstige Argosbesieger:
Send ihn also von hinnen und scheue den großen Kronion,
Daß dich der Zürnende nicht mit schrecklicher Rache verfolge!
Also sprach er und ging, der tapfere Argosbesieger.
Aber Kalypso eilte zum großgesinnten Odysseus,
Als die heilige Nymphe Kronions Willen vernommen.
Dieser saß am Gestade des Meers und weinte beständig.
Ach! in Tränen verrann sein süßes Leben, voll Sehnsucht
Heimzukehren: denn lange nicht mehr gefiel ihm die Nymphe,
Sondern er ruhte des Nachts in ihrer gewölbeten Grotte
Ohne Liebe bei ihr; ihn zwang die liebende Göttin.
Aber des Tages saß er auf Felsen und sandigen Hügeln
Und zerquälte sein Herz mit Weinen und Seufzen und Jammern
Und durchschaute mit Tränen die große Wüste des Meeres.
Jetzo nahte sich ihm und sprach die herrliche Göttin:
Armer, sei mir nicht immer so traurig und härme dein Leben
Hier nicht ab; ich bin ja bereit, dich von mir zu lassen.
Haue zum breiten Floß dir hohe Bäume, verbinde
Dann die Balken mit Erz und oben befestige Bretter,
Daß er über die Wogen des dunklen Meeres dich trage.
Siehe, dann will ich dir Brot und Wasser reichen und roten
Herzerfreuenden Wein, damit dich der Hunger nicht töte,
Dich mit Kleidern umhüllen und günstige Winde dir senden,
Daß du ohne Gefahr die Heimat wieder erreichest,
Wenn es die Götter gestatten, des weiten Himmels Bewohner,
Welche höher als ich an Weisheit sind und an Stärke.
Als sie es sprach, da erschrak der herrliche Dulder Odysseus.
Und er redte sie an und sprach die geflügelten Worte:
Wahrlich du denkst ein andres, als mich zu senden, o Göttin,
Die du mich heißest, im Floße des unermeßlichen Meeres
Furchtbare Flut zu durchfahren, die selbst kein künstlichgebautes
Rüstiges Schiff durchfährt, vom Winde Gottes erfreuet!
Nimmer besteig ich den Floß ohn deinen Willen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts andres zu meinem Verderben beschließest!
Sprach’s; und lächelnd vernahm es die hehre Göttin Kalypso,
Streichelte ihn mit der Hand und sprach die freundlichen Worte:
Wahrlich, du bist doch ein Schalk und unermüdet an Vorsicht:
So bedachtsam und schlau ist alles, was du geredet!
Nun, mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben
Und die stygischen Wasser der Tiefe, welches der größte,
Furchtbarste Eidschwur ist für alle unsterblichen Götter:
Daß ich bei mir nichts anders zu deinem Verderben beschließe!
Sondern ich denke so und rede, wie ich mir selber
Suchen würde zu raten, wär ich in gleicher Bedrängnis!
Denn ich denke gewiß nicht ganz unbillig und trage
Nicht im Busen ein Herz von Eisen, sondern voll Mitleid!
Also sprach sie und ging, die hehre Göttin Kalypso,
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin.
Und sie kamen zur Grotte, die Göttin und ihr Geliebter.
Allda setzte der Held auf den Thron sich nieder, auf welchem
Hermes hatte gesessen. Ihm reichte die heilige Nymphe
Allerlei Speis und Trank, was sterbliche Männer genießen,
Setzte sich dann entgegen dem göttergleichen Odysseus,
Und Ambrosia reichten ihr Dienerinnen und Nektar.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Als sie jetzo ihr Herz mit Trank und Speise gesättigt,
Da begann das Gespräch die hehre Göttin Kalypso:
Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,
Also willst du mich nun so bald verlassen und wieder
In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Glück auf die Reise!
Aber wüßte dein Herz, wie viele Leiden das Schicksal
Dir zu dulden bestimmt, bevor du zur Heimat gelangest,
Gerne würdest du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen
Und ein Unsterblicher sein, wie sehr du auch wünschest, die Gattin
Wiederzusehn, nach welcher du stets so herzlich dich sehnest!
Glauben darf ich doch wohl, daß ich nicht schlechter als sie bin,
Weder an Wuchs noch Bildung! Wie könnten sterbliche Weiber
Mit unsterblichen sich an Gestalt und Schönheit vergleichen?
Ihr
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