Ödland - Thriller
Großmutter einen Kuss. Er hat ihr seinen Besuch nicht angekündigt, doch es wundert ihn nicht, dass sie ihn erwartet hat. Dann stellt er ihr Salah vor, der sie schüchtern und ein wenig unbehaglich begrüßt. Ungeachtet der bittenden Rufe mancher Patienten führt Hadé ihre Besucher ins Haus.
Nach einem Becher kühlen, frischen Wassers als Willkommenstrunk und dem Austausch der letzten Neuigkeiten aus der Familie wird es sehr still in der großen, runden Behausung. Hadé, die aus ihrem niedrigen Sessel zu quellen scheint, sitzt mit gekreuzten Armen und geschlossenen Augen da. Abou sitzt ihr auf einer Matte gegenüber, betrachtet seine Füße und weiß nicht recht, was er tun soll. Salah, der an der Wand kauert, betrachtet interessiert die Einrichtung - vor allem die Masken und der tönerne Fetisch, aus dem ein dünner Rauchfaden aufsteigt, haben es ihm angetan.
Eine geraume Zeit später öffnet Hadé die Augen.
»Was hast du mir zu sagen, mein Sohn?«
»Ich habe ein unangenehmes Gefühl im Bauch. Ungefähr hier.« Er berührt einen Punkt unterhalb des Solarplexus. »Ich dachte, du könntest vielleicht...«
»Das ist keine Krankheit, mein Sohn. Das ist nur das Bangré, das in dich eindringt.«
Salah hebt in seinem Winkel erstaunt die Augenbrauen.
»Es fühlt sich an wie ein Ziehen, nicht wahr? Eine Art unbequemer Knoten.«
»Ganz genau.«
»Und nachts träumst du vom Fliegen. Du findest dich an unbekannten Orten wieder.«
»Ja, ab und zu.«
»Und manchmal tust du Dinge, ohne genau zu wissen, warum du sie tust - auch wenn du hellwach bist.«
»Ich fühle mich irgendwie verpflichtet, sie zu tun. Wie beispielsweise herzukommen.«
»Genau das ist es.« Ein Lächeln umspielt Hadés üppige Lippen. »Nein, mein Junge, das ist keine Krankheit, der man mit Kräutern und Tränken zu Leibe rücken kann. Es ist die Gabe, die sich in dir ausbreitet, die du aber noch nicht beherrschst. Aus diesem Grund hast du Beklemmungen und merkwürdige Gefühle. Manche erleben es noch viel schlimmer. Ich habe Menschen gekannt, die tagelang verschwunden sind und orientierungslos in der Welt des Bangré herumirrten, ohne zu wissen, wie ihnen geschah.«
Abou fühlt sich alles andere als besänftigt durch das, was seine Großmutter ihm da sagt. Salah rutscht unruhig auf seinen Absätzen herum, ehe er zu fragen wagt:
»Wird Abou auch von zindamba besucht, Madame Konaté?«
»Für manche Menschen nimmt die Gabe diese Form an, für andere wiederum ist sie ein Geschenk Gottes. Das muss jeder mit sich selbst abmachen. Ich persönlich ziehe es vor, ohne Schleier zu sehen.«
»Bringen Sie Opfer dar, um Wissen zu erlangen?«
Salah zeigt auf den Fetisch. Hadé muss lächeln.
»Ich brauche nicht zu töten, um zu wissen, junger Mann.« Sie wendet sich an Abou. »Erinnerst du dich, Sohn, wie ich bei deinem letzten Besuch in den Rauch geschaut habe?« Abou nickt. »Du hast gesehen, wie ich in den Rauch geschaut habe, und du hast auch das gesehen, was ich gesehen habe. Weißt du noch, was es war?«
»Ja«, bestätigt Abou. »Es war eine Art ... Zwerg.«
»Genau. Kannst du ihn jetzt auch sehen? Schließ die Augen und entspanne dich.«
Mit einem Fächer wedelt Hadé den dünnen Rauchfaden aus dem Fetisch in Abous Richtung.
»Lass Formen und Bilder einfach zu. Ohne Zwang. Lass sie kommen...«
Dicht an die Wand gedrückt, verfolgt Salah die Szene mit aufgerissenen Augen. Der Rauch ist ihm unangenehm, doch er vergisst das Husten.
»Ich sehe ihn, Großmutter.«
»Ja?«
»Es ist ein ganz grauer und verschrumpelter Zwerg«, verkündet Abou mit erhobenem Kinn. Seine geschlossenen Augenlider flattern. »Er ist böse.«
»Weiter!«
»Seine Hände sind wie Klauen, und er hat einen Schwanz.«
»Das ist Ibliss! Der Satan!«, ruft Salah erschrocken aus.
»Hör auf, Abou!«, mahnt Hadé mit strenger Stimme. »Du fantasierst, um deinen Freund zu beeindrucken. Aber das Bangré ist nicht dazu da, Freunde zu beeindrucken. Dazu ist es viel zu ernst.«
Abou öffnet die Augen und senkt verwirrt den Kopf. Salah wird kühner.
»Kann das Bangré auch töten, Madame Konaté?«
»Ja, das kann es. Aber wenn du dich des Bangré bedienst, um zu töten, bist du selbst bereits tot.«
Hadé überlässt es dem jungen Mann, über ihre sibyllinische Antwort nachzudenken, und fordert Abou auf, sich zu erheben und neben den Fetisch zu treten. Er gehorcht nur widerwillig. Hadé nimmt eine Art Kohle aus einer Schale und wirft sie in das kleine Loch. Sofort wird der
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