Ödland - Thriller
Autoradio die Meldung verfolgt hat.
»Wieso Arschlöcher?«, fragt Rudy verblüfft. Er sitzt entspannt mit hinter dem Nacken verschränkten Händen am Steuer des Lkw. »Ich finde es gut. Endlich kümmert sich mal jemand um die Malaria.«
»Du sagst es: Endlich passiert etwas! Aber der Impfstoff hätte schon vor dreißig Jahren entwickelt werden können. Stattdessen lässt man lieber drei Millionen arme Teufel im Jahr krepieren. Denn ein Impfstoff für die Armen rentiert sich nicht! Außerdem nehmen sie lieber die in Indien für ein paar Rupien hergestellten Generika. Leider sind noch nicht alle gestorben - sie vermehren sich sogar.«
»Du bist ganz schön zynisch, Laurie. Aber wie erklärst du dir, dass GSK jetzt doch einen Impfstoff produzieren will? Soviel ich weiß, sind die Armen inzwischen nicht reicher geworden.«
»Und du bist einfach nur naiv! Die Antwort liegt doch auf der Hand: Die Malaria breitet sich inzwischen auch in Europa aus. Da öffnet sich ein vielversprechender Markt.«
Darauf erwidert Rudy nichts mehr. Vermutlich sind ihm die Argumente ausgegangen. Im Lauf ihrer Gespräche hat Laurie längst festgestellt, dass der Holländer politisch manchmal recht kurzsichtig ist. Abgesehen von einem tiefen Hass gegen Faschisten und Neonazis, die er als persönliche Widersacher ansieht, beschränkt sich seine Ansicht auf den Satz: »Überall ist der Wurm drin - vor allem im Staat.« Wenn es allerdings um wirtschaftliche Dinge geht, so hat er dank seines früheren Berufes sehr viel deutlichere Vorstellungen über die Funktion der Märkte als Laurie.
Nach Rudys Einschätzung beläuft sich der Preis für einen Meter Bohrung unter normalen Bedingungen - also ohne Materialverlust und ohne dass der Untergrund zu weich oder zu felsig ist - auf etwa 30 bis 50 Euro. Ein Bohrloch von 250 Metern Tiefe würde damit zwischen 7500 und 12500 Euro kosten. Nun beträgt das Budget, das SOS Laurie zur Verfügung gestellt hat, genau 12000 Euro. Geht man davon aus, dass auch nur kleinere Schwierigkeiten die Kosten geringfügig erhöhen - was mit Sicherheit der Fall sein wird -, bleibt für Lauries und Rudys Aufwandsentschädigung nichts mehr übrig. Sie würden sich von Luft und Liebe ernähren müssen oder ihren Gastgebern zur Last fallen. Außerdem bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Preise so weit wie möglich zu drücken und um jedes Kilo Zement zu feilschen. Tolle Aussichten! Zweihundert Kilometer lang war Laurie stinkwütend, nachdem sie an einer Autobahnraststätte einen kleinen Imbiss bezahlen wollte und die böse Überraschung am Geldautomaten entdeckte. Sie hat mehrfach versucht, Markus zu erreichen, doch der hat sich geflissentlich hinter dem Anrufbeantworter verschanzt. Zwar hat sie ihn geradezu mit zornigen Nachrichten überhäuft, doch der einzige Effekt war, dass sie sich danach ein wenig besser fühlte. Rudy stellt lapidar fest, dass sie doch selbst nichts anderes erwartet hätte, kapiert aber nicht, dass es genau das ist, was sie so in Rage bringt - Markus' Knauserigkeit ist so vorhersehbar, dass es nie, wirklich nie eine angenehme Überraschung gibt. Bei jedem Einsatz ist es das Gleiche: Laurie muss zusehen, wie sie über die Runden kommt.
Wirklich beruhigt hat sie erst der Zorn der Elemente, die keinen Vergleich mit ihren schäbigen Finanzsorgen zulassen.
Als sie Besançon hinter sich ließen und an den Ausläufern des Jura entlangfuhren, wurde das Wetter schlechter. Die trockene Kälte, die im Elsass geherrscht hatte, war bis Belfort ihr Begleiter. Inzwischen hatten sie die Vogesen hinter sich gelassen. Die Temperaturen schnellten in die Höhe, und der aufkommende Wind brachte dicke, schwarze Wolken mit, die nach und nach den Himmel überzogen. Schnell wich das Tageslicht jener fahlen Beleuchtung, die häufig mit unangenehmen Naturphänomenen einhergeht. Der Wind wurde immer stärker. Brüllend wie ein Dämon packte er den Lkw mit eiserner Faust und warf ihm Blätter, Äste, Trümmer und noch gefährlichere Dinge in den Weg. Rudy klammerte sich an das Lenkrad. Manchmal spürte er, wie die Reifen des Mercedes von der Straße abhoben, doch er wusste, dass es schlimmer werden würde, wenn er stehen bliebe, denn dann würde der Wagen womöglich umkippen. Nach Minuten der Angst ließ der Orkan nach und wich dem Regen, falls man die Garben aus Wasser und Hagel, die die Fahrbahn binnen Kurzem in einen reißenden Fluss verwandelten, überhaupt so nennen konnte. Rudy fuhr mit 30 Stundenkilometern rein
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