Ödland - Thriller
von den Lebenden unbeachteten, von Geiern angefressenen Leichen.
»So schlimm ist es also«, stellt Moussa mit tonloser Stimme fest.
»Es ist sogar noch viel schlimmer«, nickt Fatimata. Ihr Gesicht ist wie versteinert. Die Augen hat sie hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen.
»Epidemien?«
»Zusätzlich zu den üblichen Krankheiten ist jetzt auch noch die Cholera ausgebrochen.«
Sofort schützt Moussa Nase und Mund mit dem Ärmel seines Blousons, als ob seine Mutter ihn anstecken könnte.
»Es geht gerade erst los«, fährt sie fort. »Aus Ouidi und Tanghin werden die ersten Fälle gemeldet. Übrigens auch aus den noch unbebauten Gebieten am Stadtrand.«
»Du meinst sicher die Slums.«
Seine Mutter wirft ihm einen Seitenblick zu, sagt aber nichts. Moussa ahnt, dass er einen wunden Punkt getroffen hat. Unter dem demokratisch-solidarischen Regime und dem dauerhaften Aufschwung, die zu erhalten die Tochter des großen Volkshelden und Märtyrers Alpha Konaté angetreten ist, dürfte es eigentlich schon längst keine Slums mehr geben.
»Wir haben Teams im Einsatz, die rund um die Uhr impfen«, erklärt Fatimata in einem Ton, der tröstlich klingen soll. »Eigentlich dürfte die Seuche sich nicht weiter ausbreiten.« Sie seufzt. »Zumindest hoffen wir das«, fügt sie leise hinzu.
Anstatt am Platz der Vereinten Nationen in den Boulevard de la Révolution einzubiegen, an dessen Ende der neue Präsidentenpalast steht, folgt Fatimata der schräg abzweigenden Avenue d'Oubritenga und fährt dann links durch die Rue Nongremasson bis zum Stadtviertel Dapoya und den ausgetrockneten Stauseen. Auf dem Staudamm Nr. 2 hält sie mitten auf der Straße an. Sie steigen aus, lehnen sich an die Brüstung und lassen ihre Blicke über die tiefen, versandeten Becken wandern, in denen sich Schutt und Staub gesammelt haben. Die lehmigen Wände sind kahl und zerklüftet. Der Wüstenwind fährt seufzend zwischen den Deichen und den Strebepfeilern aus Beton hindurch und bombardiert sie mit seinen zerstörerischen Staubpartikeln. Moussa erinnert sich noch gut an die Zeiten, als der Stausee voll Wasser und von einer üppigen Vegetation umgeben war. Trotz des trüben Wassers und der Welse machten sich die Kinder einen Spaß daraus, am Ufer herumzuplanschen. Der trostlose Anblick drückt ihm fast das Herz ab.
»Warum zeigst du mir das alles, Mutter? Ich weiß, dass die Stauseen ausgetrocknet sind.«
»Damit du unsere Situation begreifst. Es ist etwas ganz anderes, ob du es im Kopf weißt oder mit eigenen Augen gesehen hast. Es tut weh, nicht wahr?«
»Fahren wir nach Hause«, beschließt Moussa, reißt sich von der Brüstung los und steigt ins Auto.
Zum Präsidentenpalast nehmen sie den Weg über die Avenue de la Liberte. Es geht am Krankenhaus vorbei, vor dessen Toren sich die schrecklichsten Szenarien völliger Armut und hilfloser Agonie abspielen. Moussa, den bereits der Anblick der Straßen von Ouaga und des ausgetrockneten Staubeckens deprimiert hat, muss jetzt erkennen, dass es noch Schlimmeres gibt: Menschen, die wie Zombies aussehen, wandelnde Skelette, Kinder mit aufgetriebenen Bäuchen und spindeldürren Gliedmaßen, eiternde Wunden, hartnäckige Fliegen, schiere Verzweiflung in trüben Augen. Er riecht Tod, Fäulnis und nackte Not, er hört die Schreie der Geier, die in großer Zahl auf Dächern und abgestorbenen Bäumen sitzen.
»Legst du es darauf an, mich zu entmutigen, Mutter?«
»Nicht absichtlich. So ist das Leben hier nun einmal. Du wirst dich daran gewöhnen müssen, zumindest, bis wir wieder Wasser haben. Die tägliche Dusche gibt es hier nicht.«
»Und dafür musste ich ...«, seufzt Moussa, unterbricht sich jedoch sofort.
»Was denn?«
»Ach, nichts.«
Fatimata lächelt ihren Sohn traurig an.
»Ich weiß genau, welch großes Opfer du gebracht hast, und ich bin dir sehr, sehr dankbar dafür.«
Nachdem Moussa sein Zimmer bezogen, sich mit einem halben Eimer Wasser gewaschen, etwas Leichteres angezogen und eine Tasse erfrischenden Pfefferminztee getrunken hat, geht er ins Büro seiner Mutter. Sie sitzt im Halbschatten vor ihrem Quantum Physics. Die holografische Tastatur wirft einen rosa Schimmer auf ihr Gesicht. Auf dem Bildschirm ist das Satellitenbild der Gegend um Kongoussi zu sehen, das die Beschaffenheit des Terrains in Falschfarben und die Lage des unterirdischen Wasserreservoirs in blauer Schraffur zeigt.
»Das ist also das berühmte Hackerbild?«
Fatimata nickt.
»Ich dachte, dass du es
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