Ödland - Thriller
der Tuareg. Die Temperatur liegt bei fast 50 Grad, und der brennend heiße Wüstenwind trocknet die Haut aus, verursacht aufgesprungene Lippen, irritiert die Augen und erschwert das Atmen. Der pudrige Sand sammelt sich vor jedem Hindernis und formt sogenannte nebkhas, winzige Sanddünen, die der Wind nach und nach wieder abträgt und weiter nach Süden davonweht. Wer noch ein Zuhause hat, verkriecht sich trotz der Backofentemperaturen in der Sicherheit seiner vier Wände. Alle anderen suchen mehr schlecht als recht Schutz hinter Mauern, Autowracks oder hastig aufgestellten Windschirmen aus Blech, Pappe oder Plastik. Wer keinen Schutz finden konnte oder verpflichtet ist, auf seinem Posten zu bleiben - wie das Wachbataillon, das am Fundort des unterirdischen Wasservorkommens im Einsatz ist -, hüllt sich fester in Djellaba oder Burnus, wickelt sich ein Tuch um den Kopf oder schützt ihn mit einer Kappe, stellt sich mit dem Rücken gegen den Sturm und bemüht sich, die schmerzhaften Windstöße, die scharfen Böen und den prickelnden Flugsand zu ertragen.
Abou und Salah hat der Sturm während ihrer Wache erwischt. Sie schützen den Eingang zum Gelände an der Straße nach Ouahigouya. Hier kommen ständig Leute an: Einheimische, die sich erkundigen oder beschweren wollen, Fremde, die vergeblich nach der glitzernden Wunderfontäne suchen, die in Gerüchten so anschaulich beschrieben wurde. Der Sandsturm verringert den Vorbeimarsch der Schaulustigen zwar, bringt ihn aber nicht zum Erliegen. Abou und Salah, die sich unter einer Decke zusammengekauert haben, um so dem Wind zu trotzen, müssen häufig aufstehen, um zumindest auf die nachdrücklichsten Rufe zu antworten oder um allzu Verwegene davon abzuhalten, unter der Stacheldrahtabsperrung hindurchzuschlüpfen. Trotz der ständigen Überwachung gelingt es Einzelnen immer wieder, auf das Gelände vorzudringen; Patrouillen verfolgen sie und nehmen sie fest, mitgebrachte Schaufeln und Hacken werden konfisziert, und die Leute werden zum Ausgang gebracht, manchmal auch unter Zwang. Die Soldaten, die die Zugänge bewachen, stehen vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen sowohl die Ausweisung der Eindringlinge zulassen als auch gleichzeitig die Menge vor den Toren daran hindern, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen. Eine sehr delikate Aufgabe, die durch den Sandsturm nicht gerade erleichtert wird.
Im gelblich fahlen Licht, gepeitscht von Sandböen, die keinen Unterschied zwischen Himmel und Erde mehr erkennen lassen und den Horizont ausradieren, kämpfen Abou und Salah, unterstützt von zwei weiteren Soldaten, vor dem geöffneten Tor Nr. 1 mit Gewehrkolben gegen eine graue, zu allem entschlossene Menschenmenge an, die sich in wildem Durcheinander voller Hoffnung auf den Zugang zum Gelobten Land gegen den Zaun drängt. Die Leute schreien, betteln und drohen, doch Abou und Salah lassen sich nicht erweichen - ebenso wenig wie der Sandsturm, der ohne Unterlass auf sie eindrischt und ihnen eine ockerfarbene Staubmaske auf das Gesicht legt, mit der sie aussehen wie Schamanen im Trancezustand. Zu Beginn seines Auftrags hat Abou, eingedenk der Erziehung seiner Mutter, noch versucht, zu erklären und die armen Schlucker zur Vernunft zu bringen - ihnen klarzumachen, dass es unmöglich ist, einen 250 Meter unter der Erde liegenden Wasserspiegel mit einem Spaten zu erreichen, den man aus der Motorhaube eines Autos geschnitten hat. Doch er gab sein Unterfangen bald auf. Hoffnung ist stärker als Logik, und die Gerüchteküche kümmert sich nicht um Fakten. Das Wasser ist da, und die Leute wollen danach graben. Punktum. Sehr bald schon wurde die Sprache brutaler, und zum Leidwesen Abous, der jede Art von Gewalt gegenüber Menschen verabscheut, nahmen die Soldaten hin und wieder Zuflucht zu Schlägen mit dem Gewehrkolben oder zu Warnschüssen. (»Ein Staat, der sein Volk unterdrückt, verdient nicht, es regieren zu dürfen«, hatte Fatimata immer gepredigt.) Auch Abou muss Menschen hart zurückdrängen, abwiegeln, den aggressivsten und erregtesten unter ihnen auch schon einmal einen Schlag versetzen oder Bedrohungen mit Schaufeln und Hacken ausweichen und parieren - nicht nur, um den Zugang zum Gelände, sondern auch, um sein eigenes Leben zu schützen. Das Wachbataillon zählt längst nicht genügend Soldaten. Die wenigen Männer, die schwitzend fast im Staub ersticken, sind das absolute Minimum, um den Patrouillen einen Durchlass zu ermöglichen, durch den sie die armen Schlucker
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