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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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glaubte, über alles Bescheid zu wissen.
    Bei ihrem Zwischenstopp in Hassi Targui verkündete ein alter Chaambi ihnen unter einem strahlend blauen Himmel, dass sie besser nicht weiterfahren sollten, weil bald der Irifi wehen würde. Rudy dachte das Gleiche wie Laurie: Pah, hier regt sich doch kein Lüftchen. Der Alte will sich vermutlich wichtig machen. Besagter Alter lächelte leise in seine Falten, als hätte er Rudys Gedanken erraten, zog den weißen Cheche wieder über die gebräunte Nase und ging zu seinem Kamel, das ihn stoisch neben dem ausgetrockneten Brunnen erwartete. Rudy hingegen stieg wieder in den Mercedes und bereitete sich auf einen glühend heißen Nachmittag vor.
    Eigentlich hatte der Tag ganz gut begonnen, was nach den Zerreißproben des Vortags ein wahres Glück war. Nachdem sie schon um 5 Uhr 30 vom Ruf des Muezzin geweckt wurden, verließen sie in der Morgendämmerung das einfache, aber saubere und bequeme Hotel im oberen Teil der Medina von Ghardaia, dessen Besitzer, ein liebenswerter Mozabit, ganz rigoros gewesen war. »Sie sind nicht verheiratet?«, hatte er am Abend zuvor gefragt. »Gut, dann gibt es ein Zimmer für die junge Dame und ein Zimmer für den Herrn.« Ihre Zimmer hatten Aussicht auf den Palmenhain und die Festungsmauern von Melika auf der gegenüberliegenden Talseite gehabt. Der Lkw war über Nacht unversehrt geblieben. Sie hatten ihn für hundert Dinar der Obhut eines jungen Arbeitslosen überlassen, den sie spätabends eingerollt in seinen Burnus tief schlafend vor der Autotür vorgefunden hatten. Am Busbahnhof konnten sie Autogas und Wasservorräte auffüllen. Laurie, die sich durch die schamlosen Blicke gestört fühlte, musste feststellen, dass sie weit und breit die einzig anwesende Frau war - und noch dazu in Shorts. Rudy lernte zwei Lkw-Fahrer kennen, einen Chaambi aus Gourara und einen Targi aus Ahaggar, deren Stämme sich eigentlich als Feinde betrachten, die sich aber zusammengetan hatten, um den Risiken der Piste zu trotzen. Der Targi wollte in El Goléa in Richtung Tamenghest abbiegen, der Chaambi hingegen - und das klang für Rudy interessant - befand sich auf dem Weg durch sein Geburtsland nach Ouallen am Fuß des Adrar N'Ahnet und damit dem Beginn der beunruhigenden Tanezrouft. Um einen winzigen, auf dem Boden stehenden Solarrechaud versammelt, auf dem Pfefferminztee vor sich hin köchelte, verabredeten die drei, zumindest einen Teil der Strecke als Konvoi zu fahren, weil auf der Transsaharienne »alles passieren könne, inch'Allah, vor allem das Schlimmste«. Das Schlimmste schienen die beiden anderen noch nicht erlebt zu haben; als nämlich Rudy seinen beiden neuen Freunden von den Unannehmlichkeiten des Vortags erzählte, mussten sie herzlich lachen.
    Unglücklicherweise splittete sich der Konvoi schon nach gut dreißig Kilometern auf, weil die beiden Einheimischen für Rudys Begriffe viel zu schnell auf der unebenen Piste unterwegs waren, die sich zwischen den grauen, steinigen Hügeln des M'zab dahinschlängelt. Trotz seines ultramodernen Satellitenradios kam er schnell außer Reichweite ihrer altmodischen CB-Funk-Anlagen. Nach einem letzten, über Störfrequenzen geschrienen »Barak Allahou fik« - Gott schütze dich - entschloss Rudy sich zuzusehen, wie die Staubwolken der beiden Lkws am Horizont der flachen, leeren Geröllwüste im Zittern und Flimmern der Hitze immer kleiner wurden.
    Vereinsamt - denn Laurie sitzt seit vielen Stunden stumm und abwesend neben ihm -, abgestumpft vom regelmäßigen Pfeifen der Turbine und geblendet von den goldenen Lichtbrechungen der Sonne auf den Dünen, die sich allmählich in das Reg vorschieben, erreicht Rudy das bewegliche Ufer eines Ozeans aus Sand: den Großen westlichen Erg.
    Rundliche, lasziv aussehende Dünen, schwellend wie Brüste, geschwungen wie Hüften oder gewölbt wie Bäuche, bogen- oder sichelförmige Erhebungen, silbern glitzernde Halden, abrupte braune Abhänge, vanillefarbene Wellen, Strudel in Karamell, rötliche Vertiefungen, die gipsartigen Flächen der gassi, der gefurchte Sand der feidi, Torbögen und Passagen, die an die Pforten eines Labyrinths erinnern, aus roten und ockerfarbenen Felsen von Sand und Wind gefräste Skulpturen, die wie versteinerte Tiere aussehen ... Der Erg ist ein Meer aus langsamen, riesigen, in ihrer Bewegung kaum wahrnehmbaren Wogen mit Schaumkronen aus Quarz, von fein ziselierter, schnell vergänglicher Spitze durchbrochen, ein reiner, immer wieder neu beginnender Ozean,

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