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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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manchmal durchzogen von einer einsamen, kurzlebigen Spur von Schritten, Pfoten oder Reifen. Ab und zu entdeckt man auch ein zurückgelassenes Relikt der Zivilisation: eine alte Teekanne aus abgestoßener Emaille, ein Stück Stoßfänger, Plastikflaschen, eine brüchige Ziegenlederflasche. An einigen Stellen signalisiert eine aus weiß gekalkten Steinen erbaute qobba, dass hier ein Weiser oder ein Marabut begraben liegt, ein Geist der großen Wüste. Wie eine lange, schwarze Schlange mit Schuppen aus Quarz zieht sich die Straße mehr oder weniger gerade durch den Erg. Manchmal liegt sie unter neugeborenen Sanddünen begraben, die von den Lastwagen entweder umfahren oder geteilt werden. Rudy geht vom Gas. Dieses bedächtige Meer mit der gemächlichen Dünung beeindruckt ihn, ebenso wie die blendenden, vom Wind zerzausten Kämme und die violetten Schattentäler, in denen spiralförmige Geister tanzen. Er hat das Gefühl, einen Tempel zu schänden, der urtümlichen Gottheiten geweiht ist. Wären da nicht der Müll und die Wracks auf den Seitenstreifen der Straße, die von einer dauernden Entweihung zeugen, müsste man annehmen, dass für Menschen hier kein Platz vorgesehen ist. Rudy ist derart in seinen mystischen Trip vertieft, dass er dummerweise in einer kleinen Düne stecken bleibt, die er problemlos hätte umfahren können.
    Mit einem solchen Fall haben sie gerechnet, und Rudy ist gut ausgerüstet: Er hat Schaufeln, Anfahrbleche und eine Seilwinde, um den Lkw herauszuziehen. Nach einer halben Stunde schweißtreibender Arbeit hat er den Mercedes aus dem Sand befreit. Durstig, erschöpft und mit geschundenen Händen vom Hantieren mit den Anfahrblechen, fährt er weiter. Das Wasser aus dem Tank ist warm und grünlich, im Führerhaus herrschen 45 Grad Hitze, und das Lenkrad ist so heiß, dass er es kaum berühren kann. Rudy beschließt eigenmächtig, in El Goléa anzuhalten und die heißesten Tagesstunden bei einer kleinen Siesta zu verschlafen. Seit die Klimaanlage des Mercedes nicht mehr funktioniert, sind solche Zwischenstopps fast obligatorisch geworden. Und möglicherweise würde Laurie sich bei ein paar kessera und einer Tasse Pfefferminztee ein wenig entspannen, herauslassen, was ihr durch den Kopf geht, und endlich wieder reden.
    Wie häufig in der Wüste, taucht die Oase El Goléa ganz plötzlich am Ausgang einer Kurve auf. In einem Rund aus rötlichen, von den endlosen Dünen des Großen Erg ausgeschmirgelten Felsen, liegt die Stadt aus Dolomit am Rand einer üppigen Oase, wo sich Gemüsegärten unter dem lebhaft grünen Laub der Palmen verstecken. Ein zerfallener Ksar auf einem Felsvorsprung scheint die moderne Stadt zu bewachen, wirkt aber schon ebenso mineralisch wie die Tafelberge aus Kalkstein ringsum. Die Salzsenke strahlt in der sengenden Mittagssonne. Rudy parkt den Mercedes auf einer Art Platz neben der großen Straße und schlendert zusammen mit der immer noch schweigsamen Laurie durch die aromatisch duftenden, schattigen Gassen der Medina. Auf der Suche nach einem Ort, wo sie zu essen und zu trinken bekommen, verfolgt von einer ganzen Horde Kinder, die lebhaft um Dinare und Geschenke betteln, finden sie zufällig die Gärten der Oase. Nach der Gluthitze der Wüste kommen sie Laurie und Rudy wie ein wahrer Zufluchtsort und ein erquickender Born der Frische vor. Hohe, sattgrüne Palmen sind mit süßen Datteln beladen, Sonnenstrahlen sprühen durch das Laub und werfen flirrend goldene Flecken auf die Pflanzungen, an schwer nickenden Obstbäumen locken bereits halb geöffnete Granatäpfel, und die Feigenbäume verströmen köstlichen Mandelduft. Überall strömt Wasser, sprudelt aus artesischen Brunnen, fließt durch schmale Lehmkanäle und hält die Nutzgärten durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem ständig feucht. Es ist ein wahres Paradies aus Halbschatten, frischer Kühle und exotischen Düften - leider allerdings auch für Millionen Fliegen und Schnaken.
    Laurie und Rudy ziehen sich in die Medina zurück. Die Kinder haben inzwischen entmutigt die Verfolgung aufgegeben. Plötzlich entdecken sie eine winzige Terrasse im Schatten eines knorrigen Tamarindenbaums. Ein vom Sandwind abgeschmirgeltes Metallschild, auf dem noch der Schriftzug Coca-Cola zu erkennen ist, legt nahe, dass es sich um ein Café handeln könnte. Der Wirt, ein fröhlicher Mozabit, der seinen Kaftan gut ausfüllt, macht zwar keine kessera, die erhofften Pfannkuchen, schlägt ihnen jedoch zusätzlich zu den üblichen

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