Ödland - Thriller
Sandsturm.
Es beginnt mit einem Himmel, der von Minute zu Minute gelber wird. Die Schaumkronen aus Silikatkristallen auf den Dünenkämmen und die weißliche Wellenbewegung entlang ihrer Flanken scheinen sich schneller zu verändern. Bald schon steigen Wirbel aus den Vertiefungen auf, und Sand weht über den Asphalt - zunächst nur als dünner Hauch, später dann in breiten Bahnen. Der Wind beginnt zu stöhnen. Sandkörnchen prasseln auf die Karosserie. Der Horizont wird immer düsterer und schwärzer, bis er schließlich eine nebelhafte Mauer bildet, die vorwärtsrollt und dabei die Dünen abflacht wie eine riesige Dampfwalze, die Landschaft auswischt und den Lkw in einen braunen, brüllenden, brausenden, wirbelnden Halbschatten taucht, voller Stimmen ohne Worte, Formen ohne Substanz, undeutlicher Drohungen und bevorstehender Zusammenbrüche. Der Mercedes beginnt zu husten, Rudy fantasiert und verirrt sich. Laurie betrachtet das Chaos mit aufgerissenen Augen und zerbrochener Seele. Endlich bleibt der Lastzug stehen, erstickt und besiegt vom Sand, der sofort einsickert, eindringt und sich anhäuft.
Wie lange würde dieser höllische Sturm dauern? Eine Stunde? Einen Tag? Eine Woche? Wie lange konnten sie ihn überleben? Sie haben nur wenig Wasser und Proviant an Bord, denn Rudy wollte Timimoun noch vor Einbruch der Nacht erreichen. Wie lange noch? Die Zeit fließt dahin wie der Sand, Körnchen für Körnchen knistern die Sekunden, Minuten fransen aus und verlieren sich in den Fetzen von Stunden. Laurie und Rudy haben sich eng aneinandergedrängt auf der Ruheliege verbarrikadiert, sind im braunen Schatten erstarrt und verlieren jegliches Zeitgefühl. Ihre Gedanken werden von den Böen davongerissen, graben sich ins Rascheln der Dünen und zerreiben sich im unaufhörlichen Prasseln auf das Führerhaus. Immer tiefer versinken sie im Sand, werden selbst zu seiner trockenen Hitze, seinem mineralischen Nicht-Leben, seiner vergänglichen Flüssigkeit. Immer tiefer versinken sie auch in der Finsternis, doch sie merken es nicht. Kümmert sich der Sand etwa um Dunkelheit? Sie kauern Stirn an Stirn auf der Ruheliege, sehen nichts, denken nichts und spüren nichts. Sie sind nur noch im brausenden Wind umherirrende Seelen, zeitlose Stimmen, die zwischen den Dünen seufzen.
Nur das Beste
Es war einmal vor langer Zeit, da forderten die Edlen der Chaamba die Adjer, die Iforas und die Ahggar heraus. Aus großer Furcht erschien nicht ein einziger Targi zum vereinbarten Treffpunkt. Erst der Hohn und Spott ihrer Frauen brachte sie dazu, sich dem Kampf zu stellen. Doch sie taten es so widerwillig und ungern, dass ihre Feinde sie mit Leichtigkeit besiegen konnten.
Als sie beschämt und verwirrt zu ihren Zelten zurückkehrten, wurden ihre Frauen so zornig, dass sie von ihren Männern verlangten, von nun an statt ihrer den Schleier zu tragen.
Die Legende vom Schleier, Erzählung der Chaamba
Rudy weiß nicht, wer ihn aus seinem mineralischen Dämmerschlaf geweckt und verhindert hat, dass er langsam, aber sicher zu einer Silikatstatue versteinert. Ein Sonnenstrahl? Ein gedämpfter Laut? Eine verstohlene Bewegung? Er hebt den Kopf, öffnet mühsam die knirschenden Lider - und sieht es durch die versandete Windschutzscheibe.
Ein Gesicht.
Eigentlich ist es nur ein lachendes, von einem weißen Tuch umgebenes Augenpaar.
»Laurie! Aufwachen! Da ist jemand!«
»Wie? Was?«
In ihrer Betäubung ist Laurie auf die Knie des im Schneidersitz erstarrten Rudy gesunken und auf der mit feinstem Sand wie mit Talkum überpuderten Ruheliege eingeschlafen. Sie setzt sich auf, wirbelt eine dichte Staubwolke auf, reibt sich die Augen - und macht damit alles nur noch schlimmer. Blinzelnd wendet sie sich der Lichtquelle zu.
Das Gesicht ist verschwunden, aber draußen machen sich ein paar Schatten zu schaffen. Dumpfe, schleifende Geräusche ertönen an einer der Türen. Der Sand bewegt sich, bröckelt, fließt ...
Vorsichtig kramt Rudy unter dem Fahrersitz herum, zieht die Luger hervor und lädt sie. Fatal Error, behauptet der winzige Zielbildschirm. Die Pistole ist so stark versandet, dass sie eine Ladehemmung hat.
Laurie trinkt einen Schluck des ekelhaft warmen Wassers und spritzt sich auch ein wenig davon ins Gesicht. Der Staub löst sich auf und läuft in ockerfarbenen Streifen über ihre eingefallenen Wangen. Sie fröstelt. In dem unter den Dünen begrabenen Führerhaus ist es noch ziemlich kühl. Sie reicht die Flasche an Rudy weiter, der sie leer
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