Ödland - Thriller
schon ganz schön Mumm in den Knochen haben, um...«
Plötzlich wirft sich Laurie auf ihn und drischt mit geballten Fäusten wahllos auf ihn ein.
»Blöder Macho!«, brüllt sie. »Was für eine tolle, sexistische Idee! Schickst eine halb nackte Tussi zu einem Haufen bewaffneter Kerle hinaus, um in aller Ruhe auf sie zielen zu können. Du bist auch nicht besser als die anderen!«
»Mensch, Laurie ...«, stammelt Rudy und bemüht sich, ihren Schlägen auszuweichen.
Irgendwann gelingt es ihm, ihre Handknöchel zu umfassen, ihre Arme zu spreizen und sie festzuhalten. Schluchzend sinkt sie an seine Brust.
»Schon gut. Es war wirklich keine besonders gute Idee.« Er drückt sie an sich und streichelt ihr wirres Haar. »Aber leider hatte ich auf die Schnelle keine bessere. Ich musste zügig handeln. Tut mir wirklich leid ... Ich bin alles andere als ein Macho, Laurie.«
»Kann sein«, gibt sie zu und schluckt ihr Schluchzen hinunter. »Aber das ist es auch nicht, wovor ich die meiste Angst habe.«
»Was denn sonst?«
»Dass du einfach so töten kannst!«
Irifi
Würdest du die Geheimnisse der Wüste kennen, wärest du meiner Ansicht. Doch du kennst sie nicht, und Unwissenheit zieht Übel nach sich. Wärest du auch nur ein einziges Mal in der Sahara aufgewacht, hättest du mit deinen Füßen den Sandteppich berührt, der mit perlengleichen Blumen übersät ist, dann hättest du unsere Vegetation und die seltsame Vielfalt ihrer Farben, ihrer Anmut und ihres Duftes schätzen gelernt; du hättest den sanft parfümierten Wind geatmet, der uns zweifach leben lässt, denn diese Brise streift niemals durch unreine Städte.
Abd el-Kader, Les Chevaux du Sahara (1855)
Schon seit geraumer Zeit kann Rudy die Straße nicht mehr erkennen.
Tatsächlich erkennt er überhaupt nicht mehr sehr viel. Mit zusammengekniffenen Augen, geschürzten Lippen, knirschenden Zähnen und rauer Kehle fährt er aufs Geratewohl durch den Irifi, einen heißen, trockenen Wind. Heftige Böen kreuzen sich und werden immer stärker. Rudys Horizont endet an der ockerfarbenen, bewegten Windschutzscheibe des Mercedes. Die Lichtkegel der Scheinwerfer dringen nur wenige Meter in den tanzenden Sand ein. Die gebleichten Knochen und abgewetzten Autowracks am Straßenrand erfassen sie schon längst nicht mehr. Das unaufhörliche Prasseln auf den Scheiben, das klagende Stöhnen des Windes zwischen den Dünen, die vergänglichen, unscharfen Formen, die vor den Scheinwerfern wirbeln, haben Rudy in eine Art Hypnose versetzt, in der die einzig zuverlässigen und greifbaren Elemente das Lenkrad und der Rahmen der Windschutzscheibe sind. Rudy hat keine Ahnung, ob er sich noch auf der unter Sandströmen verborgenen Transsaharienne befindet oder längst auf dem felsigen Untergrund eines gassi, eines Dünentales, fährt. Seine Geschwindigkeit liegt bei etwa 20 Stundenkilometern, und in seinen Eingeweiden macht sich die Angst breit, sich verfahren zu haben und in einer Wanderdüne zu enden. Der Sand dringt durch jede Öffnung - durch die Lüftungsschlitze, obgleich sie geschlossen sind, durch die von den Plünderern geschossenen Löcher, durch die Ritzen der von einem Automechaniker in Ghardaia grob mit Epoxidharz geflickten Windschutzscheibe - und kriecht unter die Kleidung, irritiert die Haut, brennt in den Augen, trocknet den Mund aus und verstopft die Lungen.
Der Motor des Mercedes beginnt zu stottern. Die Warnleuchten des Bordcomputers blinken. »Sofort anhalten«, signalisiert die Überwachungsanlage des Autopiloten. Als hätte Rudy insgeheim schon auf diese Aufforderung gewartet, gehorcht er ihr aufs Wort. Er stellt den Wagen in Parkposition ab, zieht die Handbremse, schaltet den Motor aus und die Standleuchten ein. Mit einem erleichterten Seufzer lehnt er sich in seinen Sitz zurück und schließt die schmerzenden Augen. Doch der Sand tanzt hinter seinen geschlossenen Lidern weiter.
Neben ihm schreckt Laurie hoch. Das plötzliche Anhalten hat sie aus der gebannten Sandwind-Trance gerissen, in der auch sie beim Anblick der faszinierenden, tanzenden Sandwirbel und der braunen Dünenschatten versunken war.
»Warum hältst du an?«, fragt sie mit rauer Stimme.
Rudy hat die Hände im Nacken verschränkt und öffnet ein sandverklebtes Auge.
»Ich kann nichts mehr sehen. Ich weiß nicht einmal, ob wir noch auf der Straße sind.«
Seine Griesgrämigkeit richtet sich hauptsächlich gegen sich selbst, gegen seine Blasiertheit, mit der er aus Europa gekommen ist und
Weitere Kostenlose Bücher