Ödland - Thriller
Dromedare in über zwei Metern Höhe wirklich wohl, doch die Tiere folgen in gleichmäßigem, sanftem Schritt ihren Herren, die sie am Zügel führen. Wiegend und im Passgang verlässt die kleine Gruppe den im Sand versunkenen Lkw und die unter Verwehungen liegende Piste. Der Weg führt durch den von der Morgensonne rot angestrahlten Erg; bereits zu dieser frühen Stunde fallen ihre brennende Strahlen kräftig auf die Dünenkämme, deren scharf gezirkelten Rundungen in einen reinen, blauen Himmel ragen, als ob das Unwetter der Vortags niemals stattgefunden hätte.
An der Mündung des kaum erkennbaren Weges, der sich zwischen den Dünen dahinschlängelt, bietet sich von einer rundlichen, goldenen Kuppe aus ein atemberaubendes Panorama. In der flirrenden, spiegelnden Hitze wirkt es wie eine Fata Morgana, ein Wunder oder der Traum eines durch die Wüste irrenden Dromedartreibers: Am Fuß des Erg zieht sich ein gewaltiger Palmenhain dahin. Er sieht aus wie ein breiter, grüner Fluss, in dem ein paar verstreute Dörfer wie rote oder braune Inselchen liegen. Weiße Minarette ragen wie mahnende Finger empor, Windräder sprenkeln die Landschaft, und Sonnenkollektoren blenden wie Spiegel. Im Südwesten, am Rand des Palmenhains, erstreckt sich tief in der Ebene eine Stadt. Man erkennt einen alten, von Palmen beschatteten Ksar, dessen Rot so intensiv ist, dass es fast purpurn wirkt; daneben ist eine »neue« Stadt aus weißen Betonquadern entstanden, die sich an den Abhängen eines heißen, steinigen Plateaus hinaufziehen. Das Plateau ist die hammada von Tadmait, dessen graue Klippen den Palmenhain in das Bett eines seit Ewigkeiten ausgetrockneten Wadis einschließen. Im Süden gleißt eine große, blendend weiße Salzfläche - letzter, unfruchtbarer Überrest eines Flusses, der vor langer Zeit hier sein Bett hatte. Auch Relikte etwas jüngeren Datums sind im Staub des Tals zu erkennen: umgestürzte Bohrtürme, abgehalfterte Berieselungsanlagen, die wie die Skelette metallischer Drachen wirken, und ehemals bewässerte Felder, die jetzt nur noch große Parzellen nackter Erde sind, in denen man den Verlauf der ehemaligen Kanäle erraten kann.
»Das ist Timimoun«, verkündet Abderrahmane. »Kaum einen Tagesmarsch entfernt.«
»Seht ihr«, lächelt Yacine. »Ihr hattet euch nicht verirrt.«
Die Chaamba lassen ihren Gästen Zeit, die großartige und tröstliche Landschaft zu bewundern, ehe sie kehrtmachen und sich wieder auf den Weg zwischen den Dünen begeben. Sie streben auf die tiefe Wüste zu, in der nur noch eine graue, verkrüppelte Akazie als trauriges Andenken an die früher so üppige Vegetation des Tales dem Auge einen Anhaltspunkt bietet.
Von seinem Dromedar aus wirft Rudy Laurie verzweifelte Blicke zu und deutet mit dem Kopf in Richtung Palmenhain, von dem sie sich entfernen, als wolle er sagen: Lass uns hier verschwinden und in die Zivilisation zurückkehren. Laurie verzieht zur Antwort betrübt das Gesicht, was so viel bedeutet wie: Wir müssen mit ihnen gehen, immerhin haben sie uns gerettet. Falls einer ihrer Gastgeber die stumme Zwiesprache bemerkt hat, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.
Was die tiefe Wüste angeht, so fällt den beiden Europäern schnell auf, dass die südliche Grenze der Großen Westlichen Erg nicht nur in der Vergangenheit dicht bevölkert war, sondern es immer noch ist. Außer den Brunnen, von denen einige mit solargetriebenen Pumpen betrieben werden und um die herum der Boden von Füßen, Hufen und Reifen platt gewalzt ist, entdecken sie hier und da verstreute Ruinen von Kasbahs, Kornspeichern und antiken Ksour, die nach und nach wieder zu urweltlichen Felsen verfallen. In der Ferne künden von Zeit zu Zeit lebhaft grüne Vegetationsinseln zwischen den Dünen von einer Oase, Wasser und einem Dorf. Die unbefestigte Piste, der sie bisher gefolgt waren, trifft auf eine ehemals geteerte Straße, von deren Asphaltdecke nur noch ein paar vom Sand zerfressene Stücke übrig sind. Ein wenig später senkt sich der Überrest einer Straße entlang einer Dünenkette zu einer Oase hin, die von oben gesehen wirkt, als werde sie von den sie umgebenden Hügeln aus rotem Sand erstickt. Je näher sie dem Ort kommen, desto deutlicher erkennen Laurie und Rudy die aus den traditionell luftgetrockneten Lehmziegeln erbauten Mauern des zwischen den Palmen versteckten Ksar, das Netz aus Kanälen, das ihn mit Wasser versorgt, eine weiß gekalkte qobba - das Grabmal eines heimischen Marabut -, dann ein
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