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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Asthmaanfälle, die Laurie zu schaffen machen. Schlechte Gesundheit, schlechtes Wetter, schlechtes Meer. Was will ich eigentlich noch hier? Sie zieht die Nase hoch, seufzt und betrachtet die Festungsmauern, den einzigen Horizont, den sie sehen kann. Wellen donnern von außen gegen das alte Gemäuer und besprühen den Rundweg mit gelblichem Salz. Seit gestern ist der Sturm ein wenig abgeflaut, und die Wolken erwecken nicht mehr den Eindruck, die Erde unter sich zermalmen zu wollen. Trotzdem - das Wetter ist und bleibt ekelhaft. Und außerdem ist es absolut kein gutes Zeichen, wenn man hören kann, wie sich die Dünung an den Steinen bricht.
    Als Laurie ein kleines Mädchen war, hatte sie immer Angst, dass die Festungsmauern den Stürmen nicht standhalten könnten. In ihren Albträumen sah sie eine gigantische schwarze Welle, die über den Platz hereinbrach und ihr Haus unter sich zermalmte. Doch ihre Eltern versicherten ihr, dass die Mauern unzerstörbar wären und allem standhalten würden. Auch Lauries Eltern konnten nicht ahnen, dass das Meer eines Tages unter den Mauern hindurch in die Stadt eindringen würde. Jedenfalls vermochten sie Laurie schon damals nicht wirklich zu beruhigen. Sie hatte einfach Angst vor dem Meer. Lauries Vater aber, der in Saint-Malo geboren und Fischer war, wie zuvor schon sein eigener Vater, schien es undenkbar, dass in seiner Familie jemand Angst vor dem Meer haben könnte. Respekt - das ja. Aber Angst? Niemals! Als die Eltern es endlich geschafft hatten, das kleine, alte Geschäftshaus innerhalb der Festungsmauern für einen horrenden Preis zu kaufen, fühlte Vater Prigent sich wie im Paradies. Zumal die Hausfassade mit einer echten, alten Segelrahe geschmückt war und neben dem Eingang ein riesiger, rostiger Anker stand. Ehe die Fassade verputzt wurde, war auf dem Schaufenster in großen Lettern das Wort Exotarium zu lesen. Von Anfang an fragte Laurie sich, was für exotische Dinge man in diesem Laden wohl hatte erwerben können. Die Antworten der Eltern, die von tropischen Fischen, Fundstücken aus der Zeit der Korsaren und Merkwürdigkeiten aus den Kolonien sprachen, fielen ihrer Meinung nach nie wirklich befriedigend aus. Vielleicht wussten sie selbst nicht, was in dem Geschäft früher verkauft worden war. Nach dem Tod der Eltern nahm Laurie sich vor, es ernsthaft in Erfahrung zu bringen, doch sie hat den Entschluss nie in die Tat umgesetzt. Es interessiert sie nicht einmal mehr. Das Haus widert sie an.
    Hier wiederholt sich alles, alles dreht sich im Kreis. Sie rennt gegen Wände an und hat die Befürchtung, auf Dauer im Kopf ebenso zu verschimmeln wie die Fundamente des Hauses. Warum muss sie ausgerechnet jetzt an ihre Eltern denken, obwohl sie doch, sobald es eben ging, auf Abstand ging? Sind es ihre verdammten Seelen, die sie heimsuchen? Sie sind tot, Laurie. Du kannst die Vergangenheit nicht ändern. Aber wenn du natürlich Lust auf eine anständige Depression hast, brauchst du bloß so weiterzumachen.
    Oder an Vincent zu denken. Dann ginge es noch schneller.
    Vincent. Der attraktive, sanfte, sinnliche Vincent. Vincent, der ihr gezeigt hat, wie schön und heiter die Liebe ist. In einer Welt voller Bösartigkeit und Irrsinn war er ihr ein sicherer Ruhepol. Mit seiner Zärtlichkeit und Weisheit hat er ihr geholfen, den Tod der Eltern zu überwinden. Vincent, der Taoist. Vincent, der Fatalist. Aber auch er war zerbrechlich. Diese Welt, die er vorgab beherrschen zu können und die er glaubte überwunden zu haben, brachte ihn schließlich doch zu Fall. Er wurde computersüchtig, verschanzte sich in der virtuellen Realität und gab sich dem Zipzap hin. Die Teledroge zermürbte sein Hirn innerhalb weniger Wochen und verwandelte ihn in einen krampfenden Zombie, einen Avatar seiner selbst. Er erkannte Laurie nicht mehr, lehnte sie ab, vergaß sie. »Du bist zu gut für mich«, murmelte er an jenem letzten Tag, als sie noch einmal versuchte, ihn seiner Manside und seinen Psycho-Flashs zu entreißen. Er stieß sie zurück, und sie floh vor ihm. Sie akzeptierte den erstbesten Job, der sich bei SOS bot, und fuhr nach Tirana, wo sie aidsinfizierte Prostituierte im Endstadium mit Impfstoff versorgte. Doch trotz eines Monats inmitten finsterster menschlicher und gesundheitlicher Misere konnte sie ihren Liebeskummer nicht vergessen. Von wegen Save Our Selves! Sie hatte es ja nicht einmal fertiggebracht, Vincent vor sich selbst zu retten.
    Als sie aus Tirana zurückkehrte, war Vincent

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