Ödland - Thriller
sprechen, weil er erstens Angst hat, sie völlig zu entmutigen, und zweitens hofft, dass sie vielleicht doch nicht so weit laufen müssen.
Laurie ist am Ende ihrer Kräfte. Sie stolpert ständig, schlottert vor Kälte, ringt um Luft, und ihre Füße brennen wie Feuer. Die vier Stunden Fußmarsch zu dem verlassenen Außenposten und zurück haben ihre Energiereserven aufgebraucht. Hunger und Durst machen ihr zu schaffen, und ihr Körper ist nicht mehr in der Lage, sich zu erwärmen. Jedes Mal, wenn sie hinfällt, hat sie größere Mühe, wieder aufzustehen. Rudy muss ihr helfen, sie stützen und sie zwingen, weiterzugehen.
»Lass mich einfach hier, Rudy. Ich könnte auf dich warten.«
»Du redest Blödsinn, Laurie. Du weißt ganz genau, dass es dein sicherer Tod wäre, wenn du hierbliebest. Komm, steh auf. Wir gehen weiter. Weit können sie nicht mehr sein.«
Laurie kauert im Sand und wirft ihm einen mitleiderregenden Blick zu. Auch Rudy ist nicht im besten Zustand, staubig, verdreckt, mit aufgesprungenen Lippen und stoßweise atmend, doch er wird von einem unbeugsamen Willen angetrieben, der Laurie leider völlig abgeht. Sie will tatsächlich nichts anderes, als dort sitzen zu bleiben, mit dem Hintern auf den Steinen und dem Kopf in den Wolken, ohne weiter nachzudenken, während sie langsam loslässt. Eine schöne Nacht zum Sterben ... Wozu der hektische Gewaltmarsch, wozu noch weiter leiden? Warum soll sie sich an eine unsinnige Hoffnung klammern? Es ist vorbei. Sie haben versagt. Niemals werden sie diesen Lastwagen wiederfinden. Sie sind dazu verdammt, mitten im Nichts zu sterben, vertrocknet wie die Vogelkadaver, die vom Himmel fallen. Wie hat Rudy noch gesagt? Die Natur schenkt uns nichts mehr. Die Wüste noch viel weniger. Und der Tanezrouft war den Menschen noch nie freundlich gesonnen. Laurie ist bereit zu sterben. Sie hat längst darüber nachgedacht. Und jetzt wartet der Tod auf sie. Sie hört sein Seufzen. Schon hat er seinen unsichtbaren Tanz zwischen Sandspiralen und Staubwirbeln begonnen. Er trägt die strengen Züge ihres Vaters und die leidenden ihrer Mutter, und manchmal auch das geliebte Gesicht von Vincent ... Vincent, der sie ruft und dessen Murmeln sie im Wind vernimmt.
»Lass mich in Ruhe, Rudy. Ich will allein sein.«
»Kommt nicht infrage! Du stehst jetzt sofort auf und läufst weiter.«
Rudy schüttelt sie und zwingt sie auf die Beine. Laurie hätte sich gern gewehrt, wäre am liebsten ausgerissen und dem schmutzigen, stinkenden, lauten und bewegten Leben entflohen, das er für sie verkörpert. Doch es fehlt ihr an Kraft. Er hebt sie hoch, schiebt einen Arm unter ihre Achsel und nötigt sie, weiterzugehen. Sie schwankt und versucht ein paar Schritte. Ihre schmerzhaft versteiften Muskeln setzen sich wieder in Bewegung. Die mit Blasen übersäten Füße treten auf Sand und zermalmen kleine Steinchen. Der Schmerz reißt sie aus ihrer Betäubung. Sie geht weiter - aber wohin? Ihre zusammengekniffenen, vor Müdigkeit geschwollenen und vom Sand gereizten Augen starren auf das graue Nichts, das sich unter einem unendlichen Raum vor ihr ausbreitet. Das schimmernde Band der Milchstraße glitzert über ihrem Kopf. Ein breiter Fluss, der Sterneninseln umspült ... Laurie möchte davonfliegen, möchte in dieser funkelnden Pracht aufgehen, möchte körperlos zwischen den Sternen treiben. Was hat sie hier in diesem Jammertal noch verloren? Warum muss sie ihre Füße durch den Staub schleppen?
»Vorwärts, Laurie! Vorwärts! Wir sind ganz nah dran.«
»Woran? Am Tod?«
»Nein, an der Erlösung.«
»Das ist doch das Gleiche.«
Rudy hat Laurie nur Mut machen und sie an den dünnen Faden Hoffnung knüpfen wollen, an dem auch er selbst sich festhält und den er hütet wie seinen Augapfel. Er weiß genau, wenn auch er sich jetzt gehen ließe, wenn er sich auch nur eine Pause gönnte, würden sie nicht mehr weitergehen, und der Tanezrouft würde ihr Grab werden. Schon haucht die Wüste ihnen ihren nach Quarz und Silizium duftenden Atem ins Gesicht - das scheinheilige Parfüm ihres bevorstehenden Endes. Nein, Rudy wird dich nicht gehen lassen! Vorwärts! Vorwärts! Mühselig und hinkend, langsam und schrittweise gehen sie weiter. Von Zeit zu Zeit stirbt Laurie, und Rudy erweckt sie wieder zum Leben. Mit dem letzten verbleibenden Atem bemüht er sich, ihren Hoffnungsfunken am Leben zu erhalten.
Und auf diese Weise erreichen sie in der ersten Morgendämmerung das Biwak der Tuareg.
Mit einer geradezu
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