Ödland - Thriller
haben. Sie hofft, ein metallisches Glänzen oder eine ferne Staubwolke zu sehen. Stattdessen entdeckt sie am hitzeflimmernden Horizont viereckige Formen, die vielleicht Häuser sein könnten. Ein Lächeln huscht über ihre aufgesprungenen Lippen. Immer wieder richtet sie den Blick auf die Gebilde, die zwar flimmern, aber an der gleichen Stelle bleiben. Langsam keimt Hoffnung in ihr auf.
Sie turnt vom Dach des Lasters, stürmt in die Kabine und berichtet Rudy aufgeregt von ihrer Entdeckung. Er glaubt ihr nicht, will aber selbst nachsehen. Müde, steif und schwerfällig klettert er auf das Dach. Tatsächlich - das sieht nach Gebäuden aus! Eine Fata Morgana? Dummerweise haben sie nicht daran gedacht, ein Fernglas mitzunehmen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich auf den Weg zu machen. Was, vorsichtig geschätzt, zwei Stunden Fußmarsch bedeutet, um vielleicht nichts zu finden als pudrigen Sand und eine erbarmungslos brennende Sonne - oder, wenn sie Glück haben, einen Militärposten, der über einen gut motorisierten Geländewagen verfügt, mit dem sie den Mercedes aus dem Sand ziehen können.
Die eckigen Formen sind tatsächlich keine Fata Morgana. Es sind Häuser, rot überhaucht von den letzten Strahlen der Sonne, die am purpurfarbenen Himmel untergeht.
Doch sie sind leer - verlassen und verfallen. Rudy und Laurie stoßen auf eingestürzte Mauerreste, einen mit Schutt übersäten Boden, herumliegende Trümmer und die hässlichen Reste früherer Biwaks: leere Flaschen, geöffnete Konservendosen, Verpackungen und Toilettenpapier. Auf einem erhaltenen Stück Dach windet sich eine verbogene Antenne, Elektrokabel ohne Verbindung baumeln im Wind. Halb im Sand vergraben, finden sie ein Schild mit der Aufschrift Außenposten Weygand, das noch Reste der französischen Nationalfarben trägt.
Sonst nichts. Nur Sand und getrocknete Exkremente. Kein gut motorisierter Geländewagen, keine verständnisvollen Soldaten, noch nicht einmal Lastwagenfahrer, die sich gegenseitiger Solidarität verpflichtet fühlen. Absolut nichts.
Schweren Herzens und mit müden Schritten machen Laurie und Rudy sich auf den Rückweg. Die Kühle der Nacht, die ihnen zunächst angenehm und erfrischend vorgekommen ist, verwandelt sich schnell in schneidende Kälte. Sie fangen an zu zittern und mit den Zähnen zu klappern. Nun, im Führerhaus würden sie es zumindest warm haben, und im Morgengrauen, ehe die Luft sich wieder in einen Glutofen verwandelt, würden sie vielleicht eine Lösung finden, oder ein vorbeikommender Konvoi würde sie aus ihrer misslichen Lage befreien.
Als sie jedoch im bleichen Licht des Mondes an ihren Ausgangspunkt zurückkehren, ist der Mercedes nicht mehr da. Das kann doch nicht sein, sagen sie sich. Sind wir vielleicht übermüdet? Oder haben wir uns etwa verlaufen? Doch Rudy entdeckt sowohl die Spuren seines Ausweichmanövers als auch tiefe Reifenabdrücke im fech-fech.
Der Mercedes ist verschwunden.
Erlösung
Der Reisende kennt zwar den Tag seines Aufbruchs, nicht jedoch den seiner Rückkehr.
Sprichwort der Tuareg
Während der ganzen Nacht folgen Laurie und Rudy den gut erkennbaren Spuren ihres Lastwagens. Hartnäckig und bis auf die Knochen durchgefroren, streben sie vorwärts, stolpern über Steine, versinken im fech-fech und staken durch Sand, der so fein ist wie Talkumpuder. Der Grund, weshalb sie nicht die Hoffnung verlieren und immer noch daran glauben, dass ihr verrückter Wettlauf gegen die Zeit nicht umsonst ist, sind nicht nur die immer häufiger werdenden Ölflecke im Sand, die auf eine bevorstehende Panne schließen lassen, sondern auch Fuß- und Hufspuren, die nur bedeuten können, dass die Diebe zu zahlreich sind, um mit dem Mercedes geflüchtet zu sein, und sich ebenso wie ihre Opfer zu Fuß fortbewegen. Damit besteht zumindest eine geringe Chance, sie einzuholen. Die Diebe sind in Richtung Osten gewandert, auf einem kaum erkennbaren Weg, der irgendwo aus der Gegend des Außenpostens Weygand kommt und in Richtung des bordj von Ouallen führt, eines kleinen, ehemaligen Forts, das heute als Wetterstation dient und wo es Wasser gibt - das einzige im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern. Es liegt versteckt am Fuß des As Edjrad, des ersten Ausläufers des Adrar n'Ahnet, und bildet die östliche Begrenzung des Tanezrouft. Bis dahin sind es allerdings noch 80 Kilometer, erinnert sich Rudy, der die Karten studiert und sich mit dem GPS beschäftigt hat. Er traut sich nicht, mit Laurie darüber zu
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