Ödland - Thriller
sprechen nicht mehr. Laurie hat sich auf die Pritsche gelegt, um die Trostlosigkeit nicht länger ansehen zu müssen, diese verzweifelte, absolute Leere, die ihr das Gehirn wegzufegen scheint. Von Zeit zu Zeit reißt sie sich aus ihrer Lethargie, um sich ein feuchtes, im Handumdrehen trocknendes Tuch auf das Gesicht zu pressen. Rudy lehnt wie versteinert in seinem auf Entspannungsposition eingestellten Fahrersitz - der Lkw fährt mit Autopilot - und sucht den Horizont nach möglichen Gefahren ab. Zumindest redet er sich das ein. In Wirklichkeit aber verfällt er immer mehr in Trance. Die mineralische, leblose Mondlandschaft bevölkert sich mit Traumfiguren, Gespenstern und Geistern. Der Wind trägt die Stimmen der Toten vor sich her; er seufzt wie die Menschen, die Rudy getötet hat - der »Wilde« mit den vom Thrill irre gewordenen Augen, der kleine, von Hass und Wut getriebene Boss, der ahnungslose BMW-Fahrer - und hallt wider von den Schreien derer, die er am meisten auf der Welt geliebt hat und die er nicht hat sterben sehen, als sie von einer Wand aus schlammigem Wasser erschlagen wurden. Rudy stöhnt ebenfalls - formloses Mantra seines tief im Innern verborgenen Schmerzes. Seine Augen brennen, doch er weint nicht. Er hat nicht mehr genügend Wasser, um es verschwenden zu können. Sein Blick verschwimmt. Die Reifenspuren verwischen und vermischen sich, der Horizont beginnt im Rhythmus des Holperns zu tanzen und wird zu einem Feuerstrich, der sich durch sein inneres Chaos frisst. Rudy sieht nur noch Weiß und Grau, Feuer und Asche. Sein Gehirn scheint zu zerschmelzen. Der Lastwagen röhrt. Die hawâtif umflattern ihn, stoßen grinsend Verwünschungen aus, werfen ihm vor, sie getötet oder sterben gelassen zu haben, bemühen sich, ihn in ihre Totentänze einzureihen, hauchen ihn mit Todesatem an und versuchen, ihn aus diesem unfruchtbaren Land zu entführen, weit fort von diesem zerschmolzenen Himmel und dem unbarmherzigen Licht in das Reich der Schatten, des Vergessens und des ewigen Nichts ...
Plötzlich bohrt sich der Ton einer Sirene in Rudys Ohren. Lichtblitze flammen auf. Ein neues Alarmsignal schrillt aus dem Bordcomputer. Rudy reißt den Kopf hoch. Ein Monster aus Metall rast in einer dicken Staubwolke hupend und mit aufgeblendeten Scheinwerfern genau auf ihn zu. Ohne an den Autopiloten zu denken, reißt Rudy das Lenkrad herum. Der Mercedes fährt einen Schlenker, der riesige Tanklaster, dessen wütend gestikulierender Fahrer Rudy auf Arabisch anschreit, streift ihn kurz; dann verschwindet alles in einer dichten Staubwolke. Der Mercedes bebt und schwankt im Luftwirbel, Rudy klammert sich an das Lenkrad, der Lkw neigt sich seitwärts, droht zu kippen, kommt wieder ins Gleichgewicht, bricht aus, dreht sich um die eigene Achse, richtet sich wieder auf, schlingert durch den Sand - und fährt sich fest.
Der Motor erstickt. Hektisch blinkende Warnleuchten zeugen von der Qual der Maschine.
Mit einem letzten kümmerlichen Pfeifen gibt die Klimaanlage den Geist auf.
Langsam senkt sich der Staub auf die graue Oberfläche des Reg. Rudy seufzt. Laurie, die von dem Tumult unsanft aus ihrer Lethargie gerissen wurde, klettert zu ihm in die Kabine.
»Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht genau. Vermutlich bin ich kurz weggedämmert. Jedenfalls sind wir einem Lastwagen in die Quere gekommen.«
»Und deswegen die Aufregung? Ist denn hier nicht ausreichend Platz, um sich aus dem Weg zu gehen?«
Rudy seufzt erneut und fährt sich mit einer rissigen Hand über das geschwärzte Gesicht. Seine Kehle ist wie verstopft vom Staub. Er hat Mühe, Atem zu holen.
»Könntest du mir bitte Wasser geben, falls noch etwas da ist?«
Laurie reicht ihm eine Flasche aus dem kleinen, unter der Pritsche verstauten Kühlschrank. Das Wasser ist kühl und frisch - der reinste Nektar. Rudy trinkt die halbe Flasche leer und gewinnt wieder Geschmack am Leben. Er kann sich diesen Luxus leisten, denn sie haben einen Fünfzig-Liter-Tank hinten am Wagen. Nachdem sie nun schon einmal stehen, beschließt Rudy, die Flaschen nachzufüllen. Sie haben nur drei in Gebrauch, die sie abwechselnd in den Kühlschrank stellen, und für die restlichen 373 Kilometer, die nach seinem GPS bis Bordj Mokhtar noch vor ihnen liegen, dürfte das gerade eben ausreichen.
Rudy öffnet die Tür. Sofort springt die Hitze ihn an wie ein wildes Tier und raubt ihm den Atem. Er hat den Eindruck, mit dem Kopf in einem Hochofen zu stecken. Nur rasch die Flaschen
Weitere Kostenlose Bücher