Ödland - Thriller
der den Mercedes bis hierher gefahren hat - macht sich eifrig daran, den Lkw mit den an Bord befindlichen Werkzeugen zu reparieren. Die Frauen kochen und putzen sich heraus, die Männer polieren ihre Waffen, schmücken die Kamele, bügeln ihren tagelmoust, der besonderen Ereignissen vorbehalten ist, und schminken sich die Gesichter mit Kajal und Indigo - kurz, sie bereiten alles für ein tindé vor, das Fest der Tuareg, bei dem fast alles gestattet ist ...
Laurie und Rudy bemerken nichts von alledem. Sie liegen in einem Zelt, zermürbt von der Hitze, die mit dem anbrechenden Tag zurückgekehrt ist, und schlafen tief und fest. Sie sind endlich zur Ruhe gekommen.
Die Zukunft der Menschheit
Es ist ganz gleich, wie weit der Weg ist, solange an seinem Ende ein Brunnen wartet.
Sprichwort aus der Sahara
Von diesem Tag an steht Lauries und Rudys Reise unter einem anderen Stern. Die Nachricht von ihrem Vorankommen eilt ihnen voraus und wird per Satellitentelefon weitergegeben. An jedem Rastpunkt erscheinen eine Karawane, eine Delegation oder zumindest ein Mitglied des jeweiligen Stammes und nimmt sie mit offenen Armen auf. Man ehrt sie mit der mahraba, dem Willkommensgruß, reicht ihnen amane - Wasser - und Tee, sie bekommen zu essen, und man organisiert ihnen zu Ehren Feste oder einfach nur abendliche Runden, bei denen poetische Erzählungen vorgetragen werden. Begleitet werden solche Darbietungen vom melancholischen Klang der imzad, einer einsaitigen Geige aus Leder, deren Spiel den Frauen vorbehalten ist. Sobald ein Problem auftritt - sei es mit den örtlichen Behörden, mit Wegelagerern oder mit dem mehr oder weniger notdürftig zusammengeflickten Mercedes -, können sie unbesehen auf einen zu Kamel oder motorisiert auftauchenden Trupp zählen, der ihnen den Wagen repariert, die Banditen in die Flucht schlägt oder mit den Behörden verhandelt. Und anschließend wird der glückliche Ausgang des Zwischenfalls selbstverständlich gebührend bei einer Tasse Pfefferminztee gefeiert. Laurie und Rudy kommen auf diese Weise natürlich nicht gerade schnell voran. Doch wie sollten sie die Gastfreundschaft ablehnen? Man kann schließlich nach einem Gefallen, der einem erwiesen wurde, nicht einfach abhauen. Wie sagt man »Wir haben es eilig« auf Tamaschek? Sie haben sich im Netz des achak verfangen, des Ehrenkodexes der Tuareg, und können und dürfen sich nicht daraus befreien, denn es bedeutet Solidarität, Ehrlichkeit, Verantwortung, Ehre, Schutz, Respekt und Mut. Im Gegenzug sind sie verpflichtet, Stammesältesten die Ehre zu erweisen und den Lkw für wichtige Transporte zur Verfügung zu stellen - zum Beispiel Kranke oder schwangere Frauen zur nächsten Poliklinik zu bringen, Wasser an entfernten Brunnen zu holen, weil die örtliche Quelle versiegt ist, Viehfutter zu einer in Schwierigkeiten geratenen Karawane zu transportieren oder für einen defekten Pick-up ein Ersatzteil zu besorgen - was sie in immer größeren zeitlichen Verzug bringt. Natürlich werden sie nicht direkt aufgehalten. Jeder versteht die Wichtigkeit ihres Auftrags, und jeder weiß, dass sie in Burkina Faso erwartet werden.
»Macht euch keine Sorgen«, beruhigt man sie, »Fatimata Konaté weiß Bescheid. Sie wurde informiert, dass ihr bald kommt.« Aber auch: »Der kleine Umweg kostet euch nicht einmal einen Tag, inch'Allah. Gott wird eure Güte belohnen.« - »Unser amghar möchte euch unbedingt begrüßen. Ihn nicht zu besuchen hieße, den Stamm der Kel Tessaghlit zu beleidigen!«
Angesichts der Verzögerungen wappnen sich Laurie und Rudy mit Geduld und Durchhaltevermögen. Immerhin ist es besser, ein wenig zu spät, aber heil, gesund und lächelnd anzukommen, als die zu allem entschlossenen Europäer herauszukehren und das Ziel nicht zu erreichen.
Plötzlich scheint es wieder eine Zukunft zu geben, die sich verheißungsvoll und voller Unwägbarkeiten vor ihnen auftut. Eines Abends, als sie in einem ihnen zur Verfügung gestellten Zelt am Fuß eines Hügels aus schwarzem Gestein entspannt auf ihren Matten liegen, bringt Laurie das Thema zur Sprache.
»Was wirst du tun, wenn das hier vorbei ist?«
Rudy verzieht ein wenig zweifelnd das Gesicht.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich gehe ich zurück nach Hause.«
»Du hast kein Zuhause mehr«, erwidert Laurie hart.
Über Rudys Gesicht huscht ein schmerzlicher Ausdruck, den er mit einer hastigen Handbewegung wegzuwischen versucht.
»Dann gehe ich eben woandershin«, weicht er aus. Offenbar hat er noch
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