Ödland - Thriller
stinkende Menschenmenge zu zerstreuen, die versucht, den Mercedes zu blockieren und zu plündern.
Auch die Stadt selbst bietet kein anziehenderes Bild. Sie sieht aus, als hätte hier erst kürzlich ein Guerillakrieg stattgefunden. Durch die stinkenden, stark beschädigten Straßen, in denen Müll und geplünderte oder ausgebrannte Autowracks herumliegen, schlängelt sich ein spärlicher, aus Fahrrädern, schrottreifen Motorrollern und rostigen Schrottschleudern bestehender Verkehr. Die eingestürzten oder ausgebrannten Häuser weisen Einschlagspuren auf, alle Geschäfte sind geschlossen oder geplündert; auf den Bürgersteigen hat man stattdessen einige Warenstände aufgebaut, die von bewaffneten Männern bewacht werden. Bäume gibt es keine mehr; sie wurden schon vor langer Zeit gefällt und verbrannt. Elektrische Leitungen hängen leblos auf den Boden hinunter, und ab und zu sehen sie Leichen. Niemand macht sich mehr die Mühe, die Toten zu entsorgen; um sie kümmern sich die Geier, die wie unerschrockene Totengräber über dem Elend kreisen und sich kreischend und flügelschlagend um irgendwelches Aas streiten. Und über dieser Totenstadt hängt ein dichter, stinkender, schmieriger Smog, den man kaum atmen kann und der dem Himmel eine gelbliche Farbe verleiht.
Hinter den fest geschlossenen, staubigen Fensterscheiben des Mercedes betrachtet Laurie das Elend mit einer Mischung aus Entsetzen, Angst und Mitleid. Sie weiß, dass hier jede Hilfe zu spät kommt - längst ist die Stadt in tiefster Not und Anarchie versunken. Die »natürliche Auslese«, von der Rudy gesprochen hat, ist hier in vollem Gang. Gao, diese Brutstätte der Verworfenheit und Krankheit, wird mit dem Tod oder dem Weggang ihrer letzten Bewohner untergehen, und die Wüste wird sie unter ihren unfruchtbaren, jungfräulichen Sandwellen auslöschen.
Rudy betrachtet das Chaos mit eher misstrauischen Blicken. Seine Luger liegt in Griffweite neben ihm, denn er hat ein paar einzelne oder in Gruppen zusammenstehende, bewaffnete Männer entdeckt. Einige mustern den Lkw mit habgierigen Blicken, ein paar folgen ihm oder zeigen mit den Fingern darauf, einige legen sogar die Waffe an, schießen aber nicht - möglicherweise fehlt es ihnen an Munition, oder sie fürchten, eine Schießerei vom Zaun zu brechen. Übrigens sind durchaus dann und wann Schüsse, wütendes Gebrüll und Todesschreie zu hören - irgendwo in den Hinterhöfen oder den zu Schuttabladeplätzen umfunktionierten Gässchen. Rudy bemerkt auch die schrottreifen Pick-ups, die ab und zu aus Seitenstraßen hervorschießen oder wie die Irren über Kreuzungen preschen. Sie sind beladen mit ganzen Banden von gewehrschwingenden Männern, und Rudy fragt sich besorgt, wie er reagieren sollte, wenn er von einem dieser Gefährte angehalten würde. Zu alldem entdeckt er - ebenso wie Laurie, die einen Entsetzensschrei ausstößt - Typen in Drillichanzügen, die durch die Straßen marschieren oder bestimmte Gebäude bewachen und dabei nicht etwa von Hunden, sondern von Hyänen oder großen, mandrill- oder gibbonartigen Affen begleitet werden, die sie an soliden Ketten führen.
Und dann geschieht das, was Rudy am meisten befürchtet hat: Die Zufahrt zur einzig verbliebenen Brücke über den Niger wird von einer Straßensperre blockiert. Es ist eine aus zwei Lastwagenwracks errichtete Schikane, die von fünf Typen mit Uzis oder Kalaschnikows und zwei wilden, an Ketten liegenden Tieren bewacht wird. Als der Mercedes sich nähert, stehen die Kerle auf. Selbst aus der Entfernung ahnt Rudy das mörderische Grinsen auf ihren Gesichtern.
»Was sollen wir tun?« Laurie wird nervös. »Was können wir ihnen anbieten?«
Sie zittert vor Angst, mit den Haudegen verhandeln zu müssen.
»Gar nichts«, erwidert Rudy. »Wir fahren einfach durch. Du solltest jetzt lieber abtauchen.«
»Wie bitte? Rudy, die Kerle sind bewaffnet!«
Doch Rudy hört nicht hin. Er verlässt sich auf den Überraschungseffekt und auf die Strapazierfähigkeit des Kuhfängers, den ein vorausschauender Targi auf die Motorhaube des Mercedes geschweißt hat. Er tritt das Gaspedal durch, lässt gleichzeitig die Seitenscheibe herunter und ballert mit seiner Luger wild drauflos, wobei er hauptsächlich einen ein wenig abseits geparkten Pick-up ins Visier nimmt. Zwei der Kerle und eine Hyäne werden getroffen, der Pick-up sackt mit zerfetzten Reifen in sich zusammen und fängt an, Ethanol zu verlieren. Rudy schlingert durch die Schikane, streift eines
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