Ödland - Thriller
die jedoch über kein Wasser verfügten. Sie überschritten die durch einen zwei Meter hohen Stein gekennzeichnete Grenze nach Mali, durchfuhren ein Stammesgebiet nach dem anderen, kamen von arrems zu gueltas und anderen zufälligen Wasserstellen. Sie erreichten die Quellen über steinige aberakkas, steile Kamelpfade, die von Tälern aus blondem Sand in schwarze, nackte Berge führten, zu erodierten Granitblöcken mit Felsmalereien der kel iru, der Menschen von früher. Die kel iru lebten hier, als der Adrar noch ein Gebirgsmassiv mit grünen, fruchtbaren Tälern war und die Wadis als fischreiche Bäche gen Tal rauschten. Zwei Tage verbrachten sie in Tessalit, einer gastlichen, palmenreichen Oasenstadt, wo sie endlich wieder einmal im Schatten richtiger Bäume saßen und ihren zweiten tindé erlebten; hier wurden die traditionellen imzad, Flöten und Djembés von Elektrogitarren und Synthesizern unterstützt. Laurie genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit eines schönen Targi, der unter seinem imposanten Feiertags-tagelmoust sehr geheimnisvoll wirkte, und Rudy, der sich zwischen zwei Verehrerinnen hätte entscheiden müssen, verbrachte die Nacht schließlich mit keiner von beiden. Dann ging es weiter durch die Ebene von Marcouba in Richtung Anéfis, Tabankort und Gao. Die Strecke führte vorbei an Dünen, Steinen, vertrockneten Büschen, nesselartigem cram-cram und todgeweihten Bäumchen. Die Stoßdämpfer des Mercedes wurden auf den langsam zu Regs verdurstenden Feldern und dem fech-fech in versandeten Wadis einer harten Prüfung unterzogen, denn der Weg fuhr sich teilweise wie Wellblech. Die sprichwörtlich zahlreichen Brunnen der Gegend enthielten oft nur noch eine brackige, ekelerregende Brühe, wenn sie nicht ganz ausgetrocknet waren. Und dann endlich erreichten sie die schöne, strahlende Stadt Gao, wo die Nord-Süd-Piste die Ost-West-Route kreuzt. Gao, die wichtige Zwischenstation der Azalai, der berühmtesten aller Tuareg-Karawanen, florierende Marktstadt und emsiger Hafenort am Fluss Niger, wo sich kleine Boote drängen, die alles Mögliche transportieren - angefangen beim bougrou, einem im Fluss wachsenden Viehfutter, über Zement, Ziegen, Gasflaschen und tonnenweise Handelsware bis hin zu neugierigen Touristen. Gao und seine rosa Düne - die Perle der Wüste.
Perle der Wüste? O nein! Von der Pracht ist nichts geblieben.
Der Fluss Niger ist zum kümmerlichen, ungesunden Rinnsal geworden, und Gao ist eine wahre Hölle.
Niemand hat sie gewarnt. Niemand hat ihnen nahegelegt, Gao um jeden Preis zu meiden, niemand hat ihnen gesagt, dass Gao eine Totenstadt ist, niemand hat sie darauf hingewiesen, wie sehr Gao sich vom Rest des Landes unterscheidet. Niemand hat auf eine Gefahr hingewiesen oder erwähnt, dass es riskant sein könnte, die Stadt zu durchqueren. Fast könnte man den Eindruck bekommen, dass den Menschen dieses Geschwür auf der glatten Oberfläche ihrer Dünen peinlich ist ... Zwar hat der amghar der Kel Afella ebenso poetisch wie missverständlich geäußert, dass in Gao viele Träume ihr Ende fänden, und jemand anders hat gesagt, dass Gao häufig zur Endstation für Auswanderer in Richtung Norden würde, weil die algerische Grenze geschlossen sei und die Tuareg keine Invasion in ihr Gebiet dulden könnten, das kaum noch ihren eigenen Bedürfnissen genüge. Doch diese Sätze, die eher nebenbei in Gesprächen fielen, sind über die ohnehin schon mit Informationen vollgepfropften Köpfe von Laurie und Rudy hinweggegangen.
Jetzt allerdings, während sie endlose, in Sand und Staub errichtete Elendsviertel durchfahren - Zelte, die nur aus Plastikplanen bestehen, aus allerlei Gerümpel zusammengezimmerte Hütten inmitten von Müllbergen, in denen apathische Zombies ihr Dasein unter einer gnadenlosen Sonne fristen, brennende Abfälle und erbärmlicher Gestank -, wird ihnen die Bedeutung der Worte klar. Die Spurrillen und Schlaglöcher auf der Straße erlauben höchstens eine Geschwindigkeit von dreißig Stundenkilometern, und trotzdem ertappt sich Rudy bei dem Wunsch, das Gaspedal durchzutreten, um nicht länger den verhungerten Blicken ausgesetzt zu sein, um den ausgemergelten Kindern mit den gierigen Augen zu entgehen, die sich an die Wagentüren hängen, und um vor den lebenden Skeletten zu fliehen, die vor dem Lkw herwanken und ihre leprösen Klauen ausstrecken. Er hat die Luger unter dem Sitz hervorgeholt und geladen. Mehrfach sieht er sich gezwungen, einige Schüsse in die Luft abzugeben, um eine
Weitere Kostenlose Bücher