Ödland - Thriller
nicht über das »Nachher« nachgedacht und scheint auch keine Lust dazu zu haben. »Und du?«
»Also, ich ...« Laurie verschränkt die Hände hinter dem Nacken und betrachtet die braune Zeltwand über ihrem Kopf, die sich sanft im Abendwind bewegt. »Weißt du, dieses Leben fängt allmählich an, mir zu gefallen. Ich habe den Eindruck, meine Sorgen sind samt und sonders in der Bretagne geblieben und dort ertrunken.«
»Und dabei hattest du zu Beginn eine so schreckliche Angst vor der Wüste.«
»Tja, man hat wohl oft Angst vor Dingen, die man nicht kennt.«
»Aber mal ganz ehrlich«, hakt Rudy verdutzt nach, »könntest du dir tatsächlich vorstellen, für immer hier zu leben? Hier, wo es immer heißer wird und immer weniger Wasser gibt? In ein paar Jahren wird die Gegend hier unbewohnbar sein.«
»Ja, das habe ich auch gehört.«
»Ja und? Willst du etwa mit den Menschen hier draufgehen, Laurie? Sieht deine Zukunft wirklich so aus? Inmitten von ausgetrockneten Kamelen vor Durst und Hitze zu sterben - und das vor dem soundsovielten Brunnen, in dem es nichts anderes mehr gibt als Sand und Skorpione?«
»Nein, Rudy. Denn die Tuareg werden überleben. Es gibt genügend Wasser, wenn auch in großer Tiefe. Und was die Hitze angeht - nun ja, sie passen sich eben an. Fünfzig Grad machen ihnen inzwischen absolut nichts mehr aus, und dabei war eine solche Temperatur noch vor Kurzem die Ausnahme.«
»Ich finde dich ganz schön optimistisch. Wir kommen jetzt in den Sahel. Und ist dir vielleicht ein Unterschied zur Wüste aufgefallen? Die gleichen Dünen, der gleiche Sand, verbrannte Steine, kahle Hügel, ein paar tote Akazien, ausgehungerte Viehherden, koreanische Pumpstationen, die nicht arbeiten, weil es keine Ersatzteile gibt, zu intensiv genutzte Brunnen, an denen die Leute sich um einen Eimer Wasser prügeln, selten einmal ein Feld - und das ist dann mit Stacheldraht verbarrikadiert und wird von bewaffneten Wächtern gehütet - und Städte, in denen das Wasser so ungenießbar ist, dass Epidemien ausbrechen. Also, ich sehe die Zukunft dieses Landes alles andere als rosig.«
»Ach, du - du siehst immer nur die düstere Seite der Dinge. Aber ich bemerke auch die Hilfsbereitschaft, die Solidarität und die großzügige Gastfreundschaft der Tuareg. Sie schlachten ihre letzte Ziege, um uns eine anständige Mahlzeit zu bieten, sie teilen mit uns ihre letzte Wasserflasche, und sie schlafen draußen, obwohl der Harmattan wütet, um uns ihr Zelt zur Verfügung zu stellen. Ich sehe, dass sie das wenige, das sie besitzen, denen geben, die gar nichts haben; ich sehe, wie sie sich um Alte und Kinder kümmern, und ich sehe, dass sie um ein totes Kamel weinen, ihrem eigenen Tod aber lächelnd ins Auge blicken. Wenn es Menschen gibt, die auf einer zur Wüste werdenden, überhitzten Erde überleben können, dann sind sie es. Sie sind die Zukunft der Menschheit. Und ich hätte ehrlich Lust, gemeinsam mit ihnen diese Zukunft aufzubauen.«
Rudy zuckt die Schultern wie so oft, wenn ihm die Argumente ausgehen.
»Ganz wie du meinst, Laurie. Ich werde dich bestimmt nicht daran hindern. Geh und grabe Brunnen, pflanze Hirse und zieh den Eimer hoch, um die Kamele zu tränken. Wir sind kaum eine Woche in der Wüste. Jetzt kommt dir alles noch rosig und toll vor, aber warte mal ab, wie es ist, wenn du drei Monate hier gelebt hast.«
»Ach, du gehst mir auf die Nerven.« Laurie steht auf. In dem niedrigen Zelt kann sie nur gebückt stehen. »Ich gehe zu den Frauen. Takama will mir beibringen, die imzad zu spielen.«
Sie geht. Rudy bleibt allein zurück. Nun ist er es, der die Wellenbewegung der Zeltplane unter dem seufzenden Wind betrachtet ... Dieser Wind, der wieder die stummen Schreie der Toten mitbringt, der ewigen hawâtif, der Geister der Nacht, der Ausgeburten seiner inneren Finsternis ... Rudy weiß längst, dass es kein Land und keine Wüste gibt, die so groß sind, dass er den Stimmen entkommen könnte.
Indessen kommt das Ziel ihrer Reise von Tag zu Tag, von Dorf zu Brunnen, von Etappenziel zu Biwak langsam, aber sicher näher. Den Tanezrouft mit seiner verwirrenden Flachheit und seinem Todeshauch haben sie verlassen. In Bordj Mokhtar nahm die Landschaft allmählich wieder Formen an, und sie entdeckten Spuren von Vegetation und Zivilisation: die üblichen Schikanen von Zoll und Polizei, aber auch Bars, Märkte, geschmuggelte Elektronikteile, die von fliegenden Händlern verkauft wurden, und ein Hotel, das mit Duschen lockte,
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