Ödland - Thriller
weiß Gott keine Lust, nach Holland zu fahren und mir beim Aufsammeln von Wasserleichen den Tod zu holen. Und hysterische Überlebende sind im Augenblick auch nicht mein Ding. Mein Bedarf an Nässe und Misere ist absolut gestillt! Im Moment träume ich nur noch von einem trockenen Land, wo viel Sonne scheint und wo nicht irgendwelche Vögel vor meinen Füßen liegen und sterben. Du wirst ohne mich auskommen müssen, Markus.«
»Du hast nicht das Recht ...«
»O doch, das Recht habe ich! Wenigstens ab und zu habe ich das Recht, mich einmal nicht mit dem Elend der Welt solidarisch zu erklären, sondern mich um meine eigenen Probleme zu kümmern.«
Die Möwe öffnet den Schnabel. Ihre Zunge ist angeschwollen. Erneut versucht sie, auf die Beine zu kommen, sackt jedoch sofort wieder in sich zusammen. Ihr Atem geht stoßweise. Laurie wendet ihr den Rücken zu. Sie erträgt es nicht, dem langsamen, qualvollen Todeskampf des Vogels zuzusehen.
»Ich setze dich vor die Tür!«, droht Markus.
»Gut«, lacht Laurie bitter, »setz mich doch vor die Tür! Für wen hältst du dich eigentlich? Etwa für den Vorstandsvorsitzenden von worldwide? Du bist Chef einer nicht staatlichen Hilfsorganisation, nicht der eines weltumspannenden Konzerns. Oder müssen wir bei SOS etwa demnächst stempeln?«
»Denk doch mal an die Unglücklichen...«
»Oh, das tue ich - ich tue im Augenblick nichts anderes. Aber ich zähle mich dazu, stell dir mal vor! Save Our Selves heißt der Laden. Helfen wir uns selbst! Und deshalb fange ich erst einmal bei mir an. Nur, dass ich niemand anders zu Hilfe rufe.«
»Laurie, so kenne ich dich ja gar nicht!«
»Tut mir leid, aber du hast mich auf dem falschen Fuß erwischt, Markus. Ruf mich einfach später noch mal an. Vielleicht ändere ich meine Meinung ja noch. Tschüs.«
Laurie trennt die Leitung und befestigt das Telefon wieder an ihrem Gürtel. Besorgt dreht sie sich um. Die Möwe ist tot.
Kill them all
Fühlen Sie sich allein? Haben Sie keine Freunde? Ist Ihre Familie weit fort? Hat Ihr Partner Sie verlassen? Quälen Sie sich nicht länger! Schließlich gibt es Virtual Companion™ , der Gefährte, der immer zur Stelle ist, wenn Sie ihn brauchen. Er spricht, hört zu, versteht und tröstet. Virtual Companion™ verfügt in der Basisversion über einen Wortschatz von 75 000 Worten, eine Erweiterung ist per kostenfreiem Download möglich. Er spricht 42 Sprachen und kennt 1200 Gesellschaftsspiele. Sie können ihn nach eigener Maßgabe und Anforderung völlig frei gestalten und ihn sowohl zu Hause als auch unterwegs benutzen. Virtual Companion™ steht in drei Versionen zur Verfügung - als Mann, Frau oder Kind - und ist damit für jedes Lebensalter einsetzbar. Zögern Sie nicht länger! Virtual Companion™ bringt Ihnen die Lebensfreude zurück.
Virtual Companion™, das Exklusivprodukt von Holo-Life®, einem Unternehmen der MAYA-Gruppe
Nachdem Laurie die tote Möwe mit zwei Paar Haushaltshandschuhen an den Händen sicher eingepackt und in einem Müllcontainer entsorgt hat, fegt sie die Glassplitter zusammen, schrubbt den Blutfleck auf dem Holzboden mit Desinfektionsmittel fort und klebt einen Müllsack über die zerbrochene Fensterscheibe. Danach weiß sie nichts mit sich anzufangen. Natürlich könnte sie das Erdgeschoss säubern, doch wozu? Morgen wird es aller Wahrscheinlichkeit nach wieder eine Flut geben, und das Meer wird erneut ins Haus eindringen.
Langsam wird es dunkel. Mit hereinbrechender Nacht kommt die Zeit, die Laurie am meisten fürchtet - die Einsamkeit des Abends. Das traurige, in der Mikrowelle aufgewärmte Abendessen, das sie allein am Küchentisch verzehrt, das nicht klingelnde Telefon, die schillernde Leere des Fernsehprogramms, die mit Spams und Werbung vollgepfropfte E-Mail-Box, das ziellose Surfen im Internet, mit dem sie sich wenigstens die Illusion erhält, am Weltgeschehen teilzunehmen, der Stadtlärm, den sie mit melancholischer Musik zu übertönen versucht, und schließlich das kalte Bett, das viel zu groß für sie ist. Ausgehen? Sich in einer Bar mit irgendwelchen Säufern abgeben, die ohnehin nur Augen für ihren Arsch haben? Bekannte anrufen, denen sie nichts zu sagen hat und mit ihrer Schwermut nur auf die Nerven geht? Durch die düsteren, engen Gassen irren und sich von Ökoflüchtlingen anmachen lassen? Besäße Laurie ein Auto, würde sie ganz schnell ganz weit wegfahren. Aber ein Auto ist ein Luxus, den sie sich noch niemals leisten konnte. Für eine
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