Ödland - Thriller
Namen des Tiers oder die Zahl seines Namens. Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tiers; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.
Offenbarung 13, 11-13, 16-18
»Mein Sohn! Mein Herr! Ich bitte dich, tu ein Wunder! Erlöse mich von dem Bösen!«
Derjenige, zu dem Pamela betet, ist nicht etwa Jesus am Kreuz, sondern Tony in seinem Rollstuhl. Sie kniet mit gefalteten Händen vor ihm und liebkost ihn mit flehenden Blicken. Doch er erwidert ihren Blick nicht. Missmutig und mit zusammengepressten Lippen glotzt er verächtlich auf den Fernseher, über den die Bilder von Lord's Channel flimmern, dem Sender der Göttlichen Legion. Zum soundsovielten Mal wird dort eine flammende Rede von Moses Callaghan wiederholt: »... Christus ist wieder zu uns gekommen. Unser Herr Jesus weilt mitten unter uns. Ich kann es bezeugen, denn ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Er hat zu meinem Geist gesprochen und meine Seele erleuchtet. Aber auch ihr werdet ihn bald sehen. Er wird bei euch sein, er wird Tote erwecken, Leprakranke heilen, das Tier in den Feuersee werfen und auf Erden das Zweite Reich Gottes errichten, das Reich der Gerechten, euer Reich, und ihr werdet an seiner Seite tausend Jahre regieren.« Pamela hört nicht zu. Nicht etwa, weil es ihr an Glauben mangelt, sondern weil sie zutiefst verwirrt ist.
Seit dem Besuch des Reverends hat sich ihre Beziehung zu Anthony rapide verschlechtert. Sie weiß nicht, wie sie die Situation wieder in den Griff bekommen soll. Die von ihrem Mann eingereichte Scheidung wäre die beste Möglichkeit, doch die Göttliche Legion lehnt diese Art von Lösung kategorisch ab. Auf der anderen Seite nötigt sie Pamela, das Haus in ihren Besitz zu bringen, um es den Gläubigen zur Verfügung zu stellen und das von Callaghan vorgeschlagene Heiligtum daraus zu machen, einen Ort, der Gottes Bote auf Erden würdig wäre. Pamela jedoch kann Anthony nicht einfach an die Luft setzen, denn die Villa gehört ihnen zu gleichen Teilen. Aber auch wegziehen kann sie nicht, denn das würde ihr als böswilliges Verlassen ausgelegt werden. Im Übrigen wünscht der Reverend es auch nicht, denn offenkundig ist es das Anwesen, das ihn interessiert.
»Denk doch einmal nach, Schwester Salome«, brüllte er vor einigen Tagen ins Telefon, »würdest du wirklich aus dem Haus des Herrn wegziehen wollen? Willst du es ernsthaft einem ungläubigen Ehebrecher überlassen, einem Gefolgsmann des Teufels? Undenkbar! Das wäre ja so, als überließe man Jerusalem den Juden!«
»Jerusalem ist doch seit Langem eine jüdische Stadt«, widersprach Pamela schüchtern.
»Aber nur, weil der Antichrist auf Erden regiert. Sobald das Reich der Gerechten wiederhergestellt ist, jagen wir die Häretiker in die Wüste, aus der sie nie hätten hervorkriechen dürfen.«
Außer für die Villa in Eudora scheint sich die Göttliche Legion auch für das Vermögen der Fullers und die zahlreichen Tochtergesellschaften der Resourcing zu interessieren. Bei einem seiner zahlreichen Besuche hat Nelson ihr alles erklärt.
»Verstehen Sie doch, Pamela - Sie gestatten doch, dass ich Sie Pamela nenne? Natürlich bleibt das unter uns! Sollten Sie sich scheiden lassen, könnten Sie zwar vielleicht mit viel Mühe das Haus behalten, Sie hätten aber keinen Zugang mehr zu den Konten Ihres Mannes. Und das wäre sehr ärgerlich, nicht wahr?«
»Ich habe schon jetzt nur einen sehr eingeschränkten Zugriff.«
»In der Praxis vielleicht, rechtlich jedoch sind Sie seine Erbin. Sie und Tony Junior - seit dem Tod Ihres ältesten Sohnes, Gott sei seiner Seele gnädig ...«
Im ersten Augenblick begriff Pamela nicht, was er meinte, doch als sie wenig später darüber nachdachte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Anscheinend wünschte sich die Göttliche Legion, Anthony solle möglichst bald verschwinden. Oder, um es prosaischer auszudrücken: Er möge sterben!
Mein Gott, dachte sie erschrocken, darf ein guter Christ sich den Tod seines Nächsten wünschen? Sie hat ihren Mann öffentlich angeprangert, sie hat ihn verflucht, und sie hat sich gewünscht, dass er endlich geht - aber nicht, dass er stirbt.
Verunsichert vertraute sie sich Nelson an.
»Anthonys Tod?«, lächelte er. »Heiliger Jesus, wir wünschen niemandem den Tod. Natürlich haben die Christen früher Ungläubige getötet, weil sie davon ausgingen, dass diese keine Seele besitzen. Aber das haben wir heute längst überwunden. Ideal wäre es
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