Ödland - Thriller
auf seine Uhr. In zwei Stunden beginnt sein Dienst; er hat also noch Zeit. Seufzend streckt er sich wieder aus. Welch ein schrecklicher Albtraum! Draußen in der Morgendämmerung sind dumpfe Detonationen zu hören. Was hat seine Großmutter noch über Träume gesagt? »Es gibt normale Träume und solche, die aus dem Bangré kommen. Die Letzteren sind oft Zeichen, Warnungen oder Vorahnungen.« Draußen ist fernes Knattern zu hören. Als käme es aus einer Automatikwaffe ... »Du erkennst die Bangré-Träume daran, dass sie dir bewusst sind und nicht beim Aufwachen verblassen. Sie sagen dir etwas, das du nicht weißt.« In der Ferne ertönen Schüsse; ein Gewehrfeuer, das stärker wird.
Mit einem Satz ist Abou auf den Beinen. Laurie!
Er springt in Uniform und Stiefel und läuft hastig auf die Straße. Die Kampfgeräusche scheinen aus der Richtung des Bam-Sees zu kommen. Wird etwa die Garnison angegriffen? Banditen vielleicht? Oder Plünderer? Sollte er lieber dorthin eilen? Aber wenn man ihn brauchte, hätte man ihn sicher angerufen, denn in der Wohnung gibt es ein Telefon. Nein, er hat von Laurie geträumt; es muss Laurie sein, die in Gefahr ist.
Mit Riesenschritten rennt er durch die noch stillen und leeren Straßen zum Haus des Bürgermeisters, wo Laurie zu Gast ist. An einer Kreuzung taucht plötzlich ein Militärlastwagen auf, ein Daewoo, der durch die Schlaglöcher holpert. Ein Truppentransport! Abou folgt einer Eingebung, springt über eine Mauer und legt sich flach auf den Bauch. Soweit er sehen kann, kennt er keinen der bewaffneten Männer, die auf der Ladefläche durchgeschüttelt werden. Verstärkung? Sollte es so schlimm sein? Aber warum hat man ihn dann nicht angerufen? Im Übrigen fährt der Truppentransport gar nicht in Richtung der Baustelle.
Abou rennt weiter, bis er völlig außer Atem in der Straße ankommt, wo der Bürgermeister wohnt. Doch was ist das? Wie angewurzelt bleibt er stehen.
Der Daewoo parkt unmittelbar vor dem Haus, das die Soldaten umstellt haben.
Sehr merkwürdig. Abou gleitet in den nächstgelegenen Hof. Ein Mann kommt aus dem Haus und kratzt sich den Bauch. Abou legt einen Finger auf den Mund und schwingt sich unter dem verblüfften Blick des Mannes über die hintere Mauer. Hier müssen die Latrinen sein - puh! Er hievt sich auf das Flachdach des angrenzenden Hauses, springt in den nächsten Hof, wo er ein paar Hühner aufschreckt, die sich gackernd in Sicherheit bringen, klettert einen toten Nere-Baum empor, dessen überhängender Ast ihm die Möglichkeit bietet, in einen dritten Hof zu gelangen. Er durchquert den Hof im Laufschritt, greift im Vorüberrennen nach einer alten Leiter, lehnt sie an eine rauchgeschwärzte Küchenmauer - ein bis auf das Skelett abgemagerter Hund bellt ihm nach, ist aber zu schwach, um ihn anzugreifen -, steigt auf das schmutzige Flachdach des Gebäudes und robbt durch Staub, Abfall und Geierkot, denn das Dach grenzt an den Hof des Bürgermeisters. Er kommt gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Étienne Zebango in Begleitung seiner Frau, seiner Tochter Félicité und Lauries das Haus verlässt. Alle vier sind in Handschellen und werden von Soldaten umringt, die ihre Uzis auf sie richten.
Abou hält sich unter größter Mühe zurück, nicht einfach hinunterzuspringen und ihnen Laurie zu entreißen. Doch er ist allein und unbewaffnet, sie aber sind mindestens ein Dutzend. Er beobachtet die Soldaten jetzt genauer: Sie tragen das Abzeichen des 1. Infanterieregiments, gehören also seiner eigenen Armee an!
Was hat das alles zu bedeuten? Hat der Bürgermeister einen so schwerwiegenden Fehler begangen, dass es ein ganzes Truppenkommando braucht, um ihn festzunehmen? Aber wieso sind auch seine Frau und seine Tochter dabei - und vor allem: warum Laurie?
Am besten wäre es, beschließt Abou, zur Garnison zu gehen, wo ihm sein Hauptmann sicher erklären kann, was es mit der merkwürdigen Situation auf sich hat. Und falls das 4. Infanterieregiment tatsächlich dabei sein sollte, einen Überfall zurückzuschlagen, wäre es ohnehin besser, wenn er seinen Kameraden zur Seite stünde, auch wenn man ihn nicht gerufen hat.
Als er vom Dach der fremden Küche hinuntersteigt, trifft er auf eine Mami im Boubou, die das Gebäude gerade betreten will. Sie stößt einen überraschten Schrei aus. Wieder legt er den Finger auf die Lippen. Zwar nickt sie verständnisvoll, fragt aber halblaut: »Was ist denn da drüben beim Bürgermeister los? Überall Soldaten - was soll
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