Ödland - Thriller
Gesicht Abou zu. Er schaut sie ebenfalls an. Seine großen schwarzen Augen verschlingen sie geradezu. Er versucht zu lächeln, doch es gelingt ihm nicht.
»Also dann ... dann werde ich jetzt mal hochgehen...«
»So ist es wohl das Beste, Abou. Und wenn du kannst, solltest du an etwas anderes denken. Such dir ein Mädchen, das besser zu dir passt. Wie wäre es mit der Tochter des Bürgermeisters? Ich habe den Eindruck, dass sie dich ganz gern mag.«
»Ich liebe sie nicht. Sie hat Hintergedanken.«
»Na ja, an hübschen Mädchen mangelt es doch hier wirklich nicht.«
Abou öffnet die Wagentür und will gerade aussteigen, als Laurie einem völlig unüberlegten Impuls folgt, seinen Hals umschlingt, ihn zu sich hinzieht und ihm einen kurzen, aber ungestümen Kuss auf die Lippen drückt.
Sofort zieht sie sich wieder zurück, blinzelnd und selbst überrascht von ihrer Geste.
»Bring dich in Sicherheit, Abou. Bring dich lieber schnell in Sicherheit!«
Sie knallt die Tür hinter ihm zu und gibt so hastig Gas, dass die Räder im Staub durchdrehen.
Später, als sie in der warmen Nacht nackt und schwitzend auf ihrem Bett im Haus von Étienne und Alimatou liegt, muss sie wieder an Abou denken, an den Kuss, den sie ihm gegeben hat, an sein unschuldiges Gesicht und den großen, schlanken, eng von der Uniform umschlossenen Körper. Sie stellt sich vor, wie es wäre, wenn er nackt mit ihr hier im Bett läge, und wie er sie nehmen würde - hastig vielleicht und ein wenig ungeschickt, aber voller Liebe. Und während sie sich ihren erotischen Traum weiter ausmalt, gleitet ihre Hand wie von selbst zu ihrer Scham hinunter, zaust das blonde Gekräusel und schmiegt sich in die feuchte Wärme. Erst in dem Moment, als das erlösende Gefühl sich zwischen ihren Schenkeln ausbreitet, begreift sie, dass sie dabei ist, sich selbst zu befriedigen. Mein Gott! Es ist eine Ewigkeit her, seit sie das zuletzt getan hat!
Beruhigt, die Hand immer noch in der warmen Feuchtigkeit ihres ungestillten Verlangens, beschließt Laurie, dass sie am nächsten Tag ein ernstes Wort mit Abou reden muss - und vor allem mit sich selbst. Sie schläft ein, während sie sich vornimmt, keine Zweideutigkeiten mehr zuzulassen. Nein, sie liebt ihn nicht, diesen unglaublich attraktiven Jungen.
Am nächsten Morgen, im ersten Morgengrauen, ist die sich anbahnende Romanze wie weggeblasen - gnadenlos zerquetscht von zwei tödlich kalten, auf Laurie gerichteten Gewehrläufen. Hinter den Gewehren stehen Soldaten, die sie weder von der Garnison noch von der Baustelle her kennt und die sie lüstern von Kopf bis Fuß mustern.
»Was ist denn hier los?«, ruft Laurie und bedeckt ihre Blöße eilig mit dem Betttuch.
»Los, anziehen und mitkommen. Und kein Aufsehen«, herrscht einer der Soldaten sie an.
»Sie stehen bis auf Weiteres unter Arrest«, fügt der andere hinzu.
Albtraum
Eure Herzen kennen im Stillen die Geheimnisse der Tage und Nächte. Aber eure Ohren dürsten nach den Klängen des Wissens in euren Herzen.
Ihr wollt in Worten wissen, was ihr in Gedanken immer gewusst habt. Ihr wollt mit den Händen den nackten Körper eurer Träume berühren.
Khalil Gibran, »Von der Selbsterkenntnis«, aus: Der Prophet
Abou eilt durch eine blühende, mit Baobabs, Kapok- und Mahagonibäumen bepflanzte Savanne. Das Laub steht dicht, die Äste biegen sich unter Früchten. Er läuft auf Laurie zu, die ihn auf einem Hügel erwartet, leuchtend und von goldenen Sonnenstrahlen umgeben. Sie streckt ihm die schmalen, weißen Hände entgegen, doch je mehr er rennt, desto weiter entfernt sie sich. Die Sonne wird immer heißer und blendender, die Blumen der Savanne verwelken und siechen dahin, die Blätter fallen von den Bäumen und werden zu Rauch, der sich in blutroten Spiralen in einen farblosen Himmel schraubt, aus dem eine Wolke riesiger Geier auftaucht und sich flügelschlagend auf den kahlen Baobabs niederlässt. Zwei von ihnen stürzen sich auf Laurie und verwandeln sich in zwei Männer in Kaki, die sie packen und entführen. Sie ruft seinen Namen und streckt die Arme nach ihm aus, und er rennt, rennt, rennt mit aller Kraft, doch er kommt nicht vorwärts, er tritt im blutroten Staub auf der Stelle, und die Kaki-Männer schleppen Laurie immer weiter fort ...
Abou schreckt aus dem Schlaf auf. Er schwitzt. Sein Herz rast. Er befindet sich in seinem Zimmer in Moussas Wohnung. Der erste Schimmer der Morgenröte dringt durch das geöffnete Fenster. Er reibt sich die Augen und schaut
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