Ödland - Thriller
zugutekommen. Eigentlich sollte sie zurückkehren, die beiden Männer warnen, mit allen Mitteln gegen diesen Knebelvertrag kämpfen oder ihn zumindest abzumildern versuchen. Aber Moussa und Keita sind schon ganz Ohr und völlig hingerissen, und es fehlt ihr an Mut, dagegen anzugehen, als Spielverderber zu gelten und die Konsequenzen eines Handelskonflikts zu ertragen, der sie im Grund nichts angeht. Was hat Schumacher noch vor der Abreise gesagt? Sie solle Kontakte vermitteln - irgendetwas in der Art. Nun, das hat sie ja jetzt erledigt. Mit dem Rest müssen sie sich eben selbst herumschlagen. Laurie hat andere Sorgen.
Eine dieser Sorgen hat ebenfalls mit Schumacher zu tun. Er hat ihr nämlich eine Nachricht geschickt, in der er darauf besteht, dass der Mercedes kein Bestandteil der edlen Spende von SOS ist und dass sie ihn so schnell wie möglich zurückbringen soll. Den Lkw nach Straßburg fahren? Rudy hat offensichtlich nicht die Absicht, sich darauf einzulassen. Sie müsste einen anderen Chauffeur suchen, den sie allerdings nicht bezahlen könnte, denn die kargen Mittel von SOS sind seit Langem erschöpft. Im Übrigen dürfte dieser Chauffeur mit Sicherheit den Limes nicht überschreiten, und was sollte sie dann in Marseille mit dem Lastwagen anfangen? Abgesehen davon: Hat sie wirklich Lust, nach Europa zurückzukehren? Manchmal überfällt sie das Heimweh, aber auf eine eher losgelöste Weise, die sie nicht weiter berührt. Es fühlt sich ein wenig an wie Migräne - es kommt, aber dann geht es auch wieder.
Wenn sie genau darüber nachdenkt, erwarten sie in Frankreich nichts als eine tiefe Melancholie, der Regen und die Langeweile. Andererseits kann sich Laurie aber auch nicht vorstellen, ihre Tage in Burkina Faso zu beenden. Natürlich hat sie hier Freunde gefunden: Fatimata, Alimatou, ganz bestimmt Moussa, vielleicht Abou und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch Rudy. Aber gibt es hier wirklich einen Platz für sie? Könnte sie auf lange Sicht diese Existenz inmitten himmelschreiender Not und brütender Hitze ertragen? Wie sollte sie ohne Geld, Arbeit und ein Dach über dem Kopf überleben?
Während Laurie über diese Dinge nachdenkt, geht sie langsam zum Ausgang des Baustellengeländes. Sie kreuzt die endlos lange, von Soldaten bewachte Menschenschlange, die mit bewundernswerter Geduld auf ihre zwanzig kostenlosen Liter Wasser wartet. Jetzt erst fällt ihr auf, dass sie sich niemals wirklich Gedanken über die Zukunft gemacht hat, über das, was nach dem Auftrag auf sie warten könnte. Immer hatte sie sich vor diesem gähnenden Abgrund gescheut und gedrückt, indem sie sich nützlich machte und die Beraterin für Fatimata und die Assistentin für Moussa spielte. Aber man kommt hier auch ganz gut ohne sie zurecht.
»Darf ich Sie ein Stück begleiten, Laurie?«
Sie dreht sich um. Abou steht vor ihr. Er steckt in einer staubigen Uniform und freut sich sichtlich, dass er sie allein antrifft. Laurie muss sich zusammennehmen, um ihn ihren Unwillen nicht spüren zu lassen.
»Haben wir uns nicht längst geduzt? So alt bin ich doch nun auch wieder nicht!«
»Ganz bestimmt nicht! Sie sind ... du bist...«
Mit einem jammervollen Lächeln breitet Abou die Arme aus. Laurie lächelt zurück. Seine ungeschickte Jungenart rührt sie.
»Hast du etwa deinen Posten verlassen?«
»Nein, ich habe Feierabend.«
»Weißt du was - ich habe den Wagen dabei.«
»Dürfte ich Sie ... dich in diesem Fall bitten, mich nach Hause zu fahren? Zu Fuß ist es nämlich ganz schön weit.«
»Einverstanden.«
Sie setzen sich in den glühenden Hyundai. Laurie startet, schaltet die Klimaanlage auf Höchstleistung und fährt vorsichtig durch die beschädigten Straßen in Richtung Stadtzentrum. Abou sitzt schweigend neben ihr und sieht sie immer und immer wieder an. Durch seine Stummheit in Verlegenheit gebracht, bemüht sich Laurie, ein Gespräch in Gang zu bringen.
»Sag mal, Abou, was habt ihr beide - du und Rudy - bei diesem Fest eigentlich ausgeheckt? Ihr wart die ganze Nacht nicht auffindbar - oder bin ich zu indiskret?«
Abou zögert mit der Antwort.
»Wir haben meine Großmutter in Ouahigouya besucht. Es war praktisch, weil Rudy gerade den Wagen hatte...«
»Einfach so mitten in der Nacht? Schläft deine Großmutter denn nie?«
»Äh ... nein. Jedenfalls nicht in dieser Nacht.«
»Als Rudy am nächsten Tag mit Fatimata aufgebrochen ist, hatte er ein großes, in Zeitungspapier gewickeltes Paket unter dem Arm. Es stammte von
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