Ödland - Thriller
das?«
»Das wüsste ich auch gern«, flüstert Abou zurück.
»Im Radio sagen sie auch nichts. Sie spielen die ganze Zeit nur Musik. Normalerweise ist La Voix des Lacs doch immer in der ersten Reihe dabei!«
»Ich weiß leider nicht mehr als Sie. Gibt es vielleicht noch einen anderen Ausgang aus diesem Hof als auf die Straße? Ich möchte nicht, dass die Soldaten mich sehen.«
»Warum? Gehören Sie denn nicht dazu?« Die Frau beäugt misstrauisch seine verschmutzte Uniform. »Am Ende sucht man da drüben nach Ihnen! Andererseits sehen Sie aus wie ein netter Junge.«
»Bitte!«, fleht Abou. »Ich muss dringend zu meiner Garnison am Bohrgelände. Ich fürchte, wir werden angegriffen.«
Das Gesicht der Mami klärt sich auf.
»Jetzt erkenne ich Sie! Ich habe Sie gesehen, als ich Wasser geholt habe. Sie sind der nette junge Soldat. Kommen Sie.«
Sie begleitet ihn quer über den Hof und zeigt ihm eine kleine Blechtür zwischen zwei Gebäuden.
»Nehmen Sie die. Die Tür führt auf ein Gässchen hinaus. Dann sind diese Soldaten also Feinde?«
»Für mich auf jeden Fall. Sie haben meine ... meine Freundin verhaftet.«
Bei den letzten Worten erschauert Abou. Mitleidig tätschelt die Frau ihm die Schulter.
»Sie armer Junge. Los, bringen Sie sich in Sicherheit.
Abou rennt, so schnell er kann. Jedes Mal, wenn er den Daewoo sieht, in dem sich von Mal zu Mal mehr Gefangene drängen, verbirgt er sich. Eine halbe Stunde später erreicht er die Baustelle. Vorsichtshalber macht er einen Umweg durch die Hügel; von oben kann er das Bohrgelände und die Umgebung besser überblicken. Schnell stellt er fest, dass der Umweg eine weise Entscheidung gewesen ist, denn hätte er sich anders verhalten, wäre er schutzlos geradewegs in die Höhle des Löwen marschiert.
Die Kämpfe auf dem Bohrgelände sind vorbei. Das 4. Infanterieregiment ist besiegt; die Soldaten sind in der Mitte des Lagers zusammengetrieben worden und werden von einem engen Ring bewaffneter Militärs bewacht. Die Angreifer sind gerade dabei, Tote und Verletzte zu entsorgen, indem sie sie einfach wild durcheinander auf die Ladefläche eines Lastwagens werfen. Einige Zelte sind zerstört, zwei stehen in Flammen. Dichter, dunkler Rauch quillt aus ihnen hervor. In die den Offizieren vorbehaltene Baracke ist eine Granate eingeschlagen. Die anderen festen Bauten, vor allem die Fernmeldestation, sind in der Hand der Angreifer, die, wie Abou aus seinem Versteck hinter einem Erdhügel feststellen kann, gut ausgerüstet sind. Auf der Baustelle stehen mehrere Lastwagen, zwei leichte Panzer und ein Mörser. Auch das komplette Bohrgelände wird besetzt gehalten; die Arbeiter hat man ebenfalls zusammengetrieben und bewacht sie inmitten ihrer Zelte und Hütten, von denen einige offenbar geplündert wurden.
Von seinem Standort aus kann Abou nicht erkennen, ob die Angreifer zum 1. Infanterieregiment gehören, allerdings stimmen Ausrüstung und Uniformen mit denen der Armee von Burkina Faso überein. Abou ist erstaunt, perplex und - wütend. Was ist mit Salah? Ist er tot, oder gehört er zu den Gefangenen? Und wie mag es Hauptmann Yaméogo gehen? Was ist mit der Abteilung, die Abou selbst kommandiert hat? Jetzt werden die Gefangenen in die Lastwagen verladen. Aber wo bringt man sie hin?
Und was ist mit Moussa?
Unter tausend Vorsichtsmaßnahmen zieht Abou sich zurück. Kaum ist er außer Sichtweite, rennt er wieder ins Stadtzentrum. Kongoussi ist dabei, allmählich zu erwachen und sich seinen morgendlichen Beschäftigungen zu widmen; von dem Drama, das sich beim Bürgermeister und auf der Baustelle abgespielt hat, scheint man hier nichts zu ahnen. Einzelne Fahrzeuge rattern durch die Straßen, die ersten Geschäfte öffnen, Frauen, die ihre Ware auf dem Kopf transportieren, gehen zum Markt, andere begeben sich mit leeren Kanistern zum Bohrgelände. Auf Dächern, Pfosten und Straßenlaternen schütteln sich die Geier und halten Ausschau nach der nächsten Beute. Obwohl Abou außer Atem ist und große Angst hat, spürt er, dass über der Stadt eine gewisse Unruhe liegt. Die Leute reden hektischer miteinander als sonst, rufen sich Fragen zu, Kinder weinen, und Frauen lamentieren mit zum Himmel erhobenen Armen, dass man ihren Ehemann abgeführt habe.
Abou erreicht Moussas Wohnung. Er ringt nach Luft, und seine Beine schmerzen. Trotzdem saust er die Treppe hinauf, indem er immer vier Stufen gleichzeitig nimmt. Als er nach seinem Schlüssel kramt, muss er feststellen, dass die
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