Ödland - Thriller
Tür nur angelehnt ist. Vorsichtig stößt er sie auf.
»Moussa?«
Schweigen.
Hastig durchsucht Abou die drei Zimmer. Zwar wurde die Wohnung nicht geplündert, doch einiges fehlt trotzdem - Moussas Computer, der Flachbildschirm-Fernseher, die Mikrowelle, die Mini-HiFi-Anlage sowie die meisten Kleidungsstücke. Und der gesamte Inhalt des Kühlschranks!
Abou lässt sich auf einen Stuhl fallen, vergräbt das Gesicht in den Händen und gibt sich seiner Niedergeschlagenheit hin. Laurie ... Moussa ... Salah ... der Bürgermeister ... Was ist hier bloß los? Rasch nimmt er sich wieder zusammen und ist mit einem Satz auf den Beinen. Moussas Mobiltelefon ist natürlich verschwunden, aber in der Wohnung gibt es auch Festnetz. Der Apparat ist uralt und funktioniert nur, wenn er gute Laune hat. Wenn er schon nicht seine Mutter in der Karibik erreichen kann, so sollte er es doch wenigstens bei ihrer Sekretärin Yéri versuchen, die sicher auf dem Laufenden ist.
Abou findet das Telefon unter einem Stapel Zeitschriften im Eingangsbereich und hebt den Hörer ab. Kein Freizeichen! Er schüttelt den Apparat, zieht den Stecker aus der Dose, steckt ihn wieder hinein und drückt auf allen Knöpfen herum. Nichts! Entweder ist das Ding jetzt endgültig hinüber, oder die Leitung ist unterbrochen.
Aber wie soll er das herausbekommen? Das Radio! Moussa hat ein kleines Radio in der Küche, weil er morgens beim Frühstück gern die Nachrichten hört. Es sei denn ... Nein, es ist noch da. Abou findet das Gerät auf dem Regal hinter einer Zuckerdose.
Er schaltet es ein und probiert alle Frequenzen. Musik, Musik, Musik - auf allen burkinischen Sendern. Die Sender aus Mali oder der Elfenbeinküste, die Abou hier empfangen kann, berichten nichts Außergewöhnliches über Burkina Faso.
Nun, dann vielleicht die Zeitungen! Abou verlässt die Wohnung und geht zum nächstgelegenen Kiosk, der gleichzeitig als Café und Tante-Emma-Laden dient. Der Inhaber informiert ihn mit betrübter Miene, dass an diesem Tag keine Zeitungen gekommen sind. Er hat keine Ahnung, warum - sie sind einfach nicht geliefert worden. Die drei Kunden, die vor ihrem Nescafé in Kondensmilch am Tisch sitzen, wissen auch nicht mehr. Und was sagt das Fernsehen? Keiner der Anwesenden besitzt einen Apparat.
Nachdem er schon einmal da ist, genehmigt sich Abou einen Kaffee. Er braucht Zeit, um nachzudenken. Man fragt ihn nach den Soldaten, die seit dem Morgengrauen in der Stadt unterwegs sind und viele Leute festgenommen haben, muss jedoch enttäuscht feststellen, dass er, obwohl er eine Uniform trägt, ebenfalls nichts weiß.
Ich werde zum Haus des Bürgermeisters zurückkehren, entscheidet er schließlich. Ich leihe mir Felicitas Motorroller, falls die Soldaten ihn nicht mitgenommen haben, und fahre zu Großmutter. Sie weiß bestimmt, was los ist.
Gesagt, getan. Zumindest annähernd, denn vor dem Haus von Étienne Zebango steht ein Wachtposten. Abou beschließt, eine Finte zu wagen, bei der ihm seine verdreckte Uniform zugutekommt.
Er reißt die Abzeichen des 4. Infanterieregiments ab, reibt sein Gesicht mit Staub ein und geht hinkend auf den Wachtposten zu, der ihn eher neugierig als ängstlich mustert.
»Grüß dich, Kamerad«, sagt Abou mit erschöpfter Stimme und verzieht das Gesicht, als ob er große Schmerzen hätte. »Friede sei mit dir und den Deinen...«
»Gleichfalls«, erwidert der Soldat. »Wo kommst du her? Und was ist mit dir?«
»Ich war mit einem Sonderauftrag unterwegs ... wir sind in einen Hinterhalt geraten ... Ich fürchte, ich habe als Einziger überlebt. Ich muss unbedingt meinen Hauptmann informieren. Dürfte ich mir mal dein Telefon ausleihen?«
Mit zitterndem Finger zeigt er auf das Feldtelefon, das am Gürtel des Wachtpostens hängt.
»Aber natürlich. Da habt ihr ja wirklich Pech gehabt«, sagt der Soldat mitleidig, legt sein Gewehr ab und senkt den Kopf, um das Telefon vom Gürtel zu lösen.
Wie der Blitz stürzt Abou sich auf das Gewehr, packt es am Lauf und versetzt dem verdutzten Wachtposten einen heftigen Kolbenhieb ins Gesicht. Der Soldat sackt mit gebrochener, blutender Nase betäubt zu Boden.
»Pech für dich«, erwidert Abou und zieht den Soldaten eilig in den Hof.
Hinter der Mauer, abgeschirmt von neugierigen Blicken, nimmt er ihm den Helm ab und verabreicht ihm einen zweiten Schlag auf den Hinterkopf, um ganz sicherzugehen. Der Soldat zuckt zusammen und bleibt im Staub liegen. Abou kann nur hoffen, dass er ihn nicht getötet hat.
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