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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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»Einheit« zugeteilt worden war. Die Gruppe wurde von einem jungen Glatzkopf mit vernarbtem Gesicht befehligt, der ihn ständig anbrüllte und ihm lautstark zu verstehen gab, er sei nichts als ein Stück Scheiße, ein Lump und der Abfall der sozialen Gesellschaft, doch er könne wieder zum Menschen werden, wenn er nur immer brav seinen Befehlen gehorche, sie ohne Murren ausführe, andächtig den Reden lausche und sich nichts zuschulden kommen lasse. Und auch, wenn er sich jetzt schinden müsse, würde er ihm später umso dankbarer sein, weil er dann nämlich stark, mutig und fähig wäre, die Welt zu erobern. »Nur die Starken überleben. Schwächlinge, Untermenschen und Schwuchteln werden mitleidlos ausgemerzt.«
    Und dann entdeckte Rudy die Naziparolen auf den Wänden des Schlafsaals, er las die Propaganda, die überall herumlag - jede andere Lektüre ist verboten, und alle Bücher wurden bei der Ankunft konfisziert - und er hörte die als Endlosschleife ablaufenden Reden in deutscher Sprache, deren abstoßender Tonfall an Hitler erinnerte, die aber so machtvoll klangen, dass es kaum möglich war, sich ihnen zu entziehen. Er weigerte sich, die Filme anzusehen, was ihm einige Schikanen einbrachte. Schnell begriff er, dass die Drohung, Schwächlinge auszumerzen, keine leere Rhetorik oder braune Wichtigtuerei war, sondern hier wirklich zum Alltag gehörte.
    Da sind zunächst die Deserteure - diejenigen, die es nicht aushalten und versuchen, aus dem Camp zu fliehen. Es gilt geradezu als Sport, sie zu verfolgen und ins Lager zurückzubringen, wo der Fantasie ihrer Folterer bei ihrer Misshandlung keine Grenzen gesetzt sind. Falls sie danach noch leben, lässt man sie irgendwo am Rand des Geländes liegen.
    Dann gibt es diejenigen, die sich beklagen, sich gehen lassen, nicht gehorchen oder nicht schnell genug sind. Sie werden bei den gefährlichsten Missionen - wie zum Beispiel dem Ausheben eines Dealernests im Keller einer Fabrikruine - in die erste Reihe geschickt, wo sie wirklich ihr Leben riskieren.
    Und schließlich gibt es auch noch eine Sonderbehandlung für Männer, die sich vor der Arbeit drücken, die eine ruhige Kugel zu schieben versuchen und Befehlen widersprechen sowie solchen, die verbotene Artikel wie unzulässige Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik, aber auch Drogen, Pornos, Telefone und andere Kommunikationsmittel ins Lager einschmuggeln. Sie werden im Verborgenen in einer »Nacht und Nebel« genannten Aktion bestraft, nach der man sie in aller Regel nicht wiedersieht. Wenn man sie zufällig doch einmal wiedersieht, sind sie kaum noch zu erkennen und haben nicht mehr viel zu sagen.
    Die Lehrgangsteilnehmer werden dazu angehalten, bei den bewaffneten und unbewaffneten Kampftrainings sofort aufzuhören, wenn das erste Blut fließt oder der Unterlegene nicht mehr entkommen kann. Wird der Angreifer allerdings wütend oder packt ihn die Mordlust, darf er den Kampf nicht nur fortsetzen, sondern wird auch bis zu dem manchmal tödlichen Ausgang der Fehde von den anderen angefeuert. Auch sollten die Waffen, die bei den Geländekämpfen im Außenbereich benutzt werden - meist sind es deutsche GII und russische AK74 - mit Paintballs bestückt sein. Häufig geschieht es jedoch, dass richtige Kugeln in den Magazinen »vergessen« werden. Jeder fragt sich, ob nicht zufällig er die tödliche Waffe trägt und an diesem Tag zum Botschafter des Todes wird.
    Nachdem das Kampfziel verkündet war, machte sich Rudys Einheit von Bochum aus im Laufschritt auf den Weg zur alten Raffinerie und verteilte sich nach einer gründlichen Durchsuchung auf dem Gelände. Jetzt erwartet man die »Roten«, die die Raffinerie angreifen und stürmen sollen. Mit Sicherheit wird es Verletzte und möglicherweise sogar Tote geben - vielleicht sogar durch Rudys eigene Hand.
    Rudy muss gegen sein Schwindelgefühl ankämpfen, doch er wagt sich bis zum Rand der Plattform vor, deren bröckelige Reling wie rostige Klöppelspitze aussieht. Er beobachtet den 25 Meter unter ihm gähnenden Abgrund aus Stahl und Beton.
    Unter zwei parallel verlaufenden Röhren glaubt er, eine Bewegung zu erkennen.
    Sind das schon die Roten? Doch der Boss hat weder ihre Ankunft signalisiert noch den Befehl zum Angriff gegeben. Oder hat er sie etwa nicht gesehen?
    Die Bewegung wird deutlicher. Rudy erkennt eine Gestalt, die sich unter den Röhren hervorschlängelt, im Laufschritt den ungeschützten Platz überquert und sich sofort hinter einen Soaker duckt.
    Zitternd

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