Ödland - Thriller
ihn mit offenen Armen aufnahm.
Yann hatte nicht einmal Zeit zu lernen, wie man Ziegen melkt.
In Toulouse verfrachteten ihn die beiden Herren in Schwarz in ein Flugzeug nach Brüssel, dem europäischen Sitz von NetSurvey. Yann flog zum ersten Mal in seinem Leben - Fliegen ist sehr teuer geworden, weil die Wasserstoffzellen für Flugzeuge noch nicht den Standard erfüllen - und hätte es gern unter anderen Voraussetzungen genossen. Doch er durfte nicht einmal am Fenster sitzen.
Bei NetSurvey schloss man ihn in eine winzige, unterirdische Zelle ein, die weder eine Öffnung nach draußen noch irgendeine Kommunikationsmöglichkeit bot, und unterzog ihn einer psychischen Folter. Das Licht ging ohne Vorwarnung plötzlich an oder aus, Weckerklingeln riss ihn grundlos aus dem Schlaf, Schritte kamen und entfernten sich wieder, der Wasserhahn des Waschbeckens tropfte und tropfte, es gab weder ein Bett noch etwas zu essen, keine Zeit, weder Tag noch Nacht - absolut nichts, woran er sich halten konnte. Als sie nach drei Tagen die Tür öffneten, mussten sie ihn tränenüberströmt vom Boden auflesen. Er wurde in einen sehr hellen, mit Mess- und anderen elektronischen Geräten vollgestopften Raum gebracht, wo Mr. Smith und Mr. Jones ihn abwechselnd und ohne Pause mehrere Stunden lang verhörten. Sie wollten wissen, ob er für die Chinesen, die russische Mafia oder den islamischen Dschihad arbeitete, wie er bezahlt wurde, wie er seine Informationen weitergab und wer seine Komplizen waren. Yann gab eine ganze Menge Hacks und Piraterien zu, von denen einige sie ehrlich überraschten. (»Ach wirklich, auch das Pentagon. Davon wussten wir ja noch gar nichts.«) Doch das, was sie hören wollten, war nicht dabei. Aus gutem Grund - Yann hat immer nur für sich selbst gearbeitet. Seine Fundstücke behielt er entweder für sich oder gab sie an die weiter, die es betraf, und zwar umsonst. Niemals hat er auch nur eine Sekunde daran gedacht, aus seinem Hobby eine lukrative Einnahmequelle zu machen, ganz zu schweigen davon, in Richtung Spionage oder Sabotage abzugleiten. Natürlich bekam er Angebote, die er jedoch immer ablehnte. Für Yann war Hacking eine Leidenschaft, keine Waffe.
Doch damit konnte er den paranoiden, auf die Suche nach einem Komplott getrimmten Cyberpolizisten nicht kommen. Sie verstanden ihn nicht und sperrten ihn für weitere drei Tage in die Minizelle. Doch seine Aussagen änderten sich nicht - er war lediglich noch ausgemergelter und verwirrter. Yann beschränkte sich darauf, immer wieder das herunterzubeten, was er schon zugegeben hatte. Aus Beweismangel und gestützt auf Gigabytes elektronischer Analysen, mussten Mr. Smith und Mr. Jones schließlich einräumen, dass Yann, auch wenn es unwahrscheinlich klang, offenbar die Wahrheit sagte. Er war ein echter Hacker - voller Leidenschaft und absolut desinteressiert.
Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich ihre Haltung von Grund auf. Yann durfte sich waschen, bekam zu essen, wurde in ein Zimmer mit einem richtigen Bett, einem Fenster und einem Fernseher verlegt und später in ein modernes Büro mit Blick über den Park von Brüssel eingeladen. Man nahm ihm die Handschellen ab und bot ihm einen bequemen Sessel an. Und nun wartet er, ohne auch nur das Geringste zu verstehen.
Ein Mann tritt ein. Er ist mindestens sechzig, aber perfekt geliftet und hat eine fantastische Figur. Er erinnert an ein männliches Model für Parfümwerbung und schüttelt Yann voller Herzlichkeit die Hand.
»Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, man hat sie nicht zu hart behandelt.« Der Mann hat eine singende, sehr angenehme Stimme mit einem winzigen italienischen Akzent.
»Wie Sie sehen können, habe ich es überlebt. Aber ich würde gern verstehen, worum es hier eigentlich geht.«
»Sie werden es sehr bald verstehen. Doch zunächst gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Silvio Fini. Ich bin Direktor von NetSurvey Europa.«
»Yann Prigent, Hacker. Ich nehme an, Sie kennen mich bereits.«
»O ja.« Der Mann wirft einen kurzen Blick auf den in den Schreibtisch eingelassenen Touchscreen. »Ihre Erfolge klingen wirklich beeindruckend.«
»Vielen Dank.«
»Und das alles aus ... wie soll ich mich ausdrücken? ... aus Liebe zur Kunst? Zumindest steht es hier so.«
»Das ist richtig.«
»Wissen Sie, Yann, dass man sie dafür lebenslang ins Gefängnis stecken könnte? Datenpiraterie wird heute ebenso streng bestraft wie Sabotage.«
Ȇber solche Feinheiten habe ich mich mit Ihren Agenten
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