Ödland - Thriller
bemüht er sich, auf die besonderen Geräusche eines sich heimlich annähernden Menschen zu lauschen. Die Anspannung ist kaum zu ertragen. Rudy weiß, dass er nicht mehr lange so ausharren kann. Irgendetwas muss passieren. Entweder, er macht sich vom Acker und lässt die einmalige Gelegenheit sausen, oder er greift an - auf die Gefahr hin, selbst dabei draufzugehen. Im Magazin der Luger, die er seinem Kommandanten abgenommen hat, befinden sich genau acht Kugeln. Rudy hat natürlich keine Ahnung, ob die Kerle im möglicherweise gepanzerten Wagen nicht vielleicht bis zu den Zähnen bewaffnet sind - sie anzugreifen wäre extrem riskant, zumal Rudys Kampfausbildung gerade einmal zehn Tage gedauert hat. Soll er es lieber lassen? Doch der BMW hat auf Rudy die gleiche Wirkung wie eine von einem Gorilla gehütete Banane auf einen ausgehungerten Schimpansen ...
Plötzlich fliegen die Türen auf, und drei der Kerle steigen aus. Sie haben ein Waffenarsenal bei sich, mit dem man problemlos auf Elefantenjagd gehen könnte. Nein, das ist bestimmt kein Deal - hier geht es um eine handfeste Auseinandersetzung. Wahrscheinlich haben die Typen auf eine bestimmte Person gewartet und sind soeben benachrichtigt worden, dass der Betreffende sich im Anmarsch befindet. Jetzt geht möglicherweise alles sehr schnell. Rudy hat keine Zeit zu verlieren.
Die drei Männer stürmen mit gezogenen Waffen in die finstere Fabrik. Sie scheinen wild entschlossen, drinnen ein Blutbad zu veranstalten. Nur der Chauffeur bleibt im Auto zurück, das mit laufendem Motor wartet. Alles hängt jetzt davon ab, wie aufmerksam der Fahrer ist. Hat er seine Umgebung genau im Blick, oder lümmelt er nur im Wagen herum, bis seine Komplizen zurückkehren? Aber dieses Risiko muss Rudy einfach eingehen.
Er verlässt sein unsicheres Versteck und robbt über den rissigen Gehsteig auf den Wagen zu. Durch die abgedunkelten Scheiben des BMW kann er nicht erkennen, ob der Fahrer vielleicht gerade dabei ist, in aller Gemütsruhe auf ihn zu zielen, um ihm in der nächsten Sekunde den Kopf wegzupusten. Todesmutig kriecht Rudy weiter. Er nähert sich dem Auto nur langsam. Hundert Meter robbend zu bewältigen dauert seine Zeit. Doch Rudy hat ausreichend Übung. Während seiner Zeit bei der Sektion 25 musste er ständig robben, und zwar auf deutlich ekelhafteren Untergründen als diesem staubigen Gehsteig. Von Zeit zu Zeit hält er mit pochendem Herzen inne, weil er befürchtet, im trüben Mondlicht geradezu auf dem Präsentierteller zu liegen, oder glaubt, das Entsichern einer Waffe gehört zu haben. Nein, da war nichts. Also weiter!
Als er eben das Heck des BMW erreicht hat, bricht in der stillgelegten Fabrik ein wahrer Höllenlärm los. Eine Explosion, Schüsse und Maschinengewehrsalven sind zu hören. Die Vergeltungsaktion ist in vollem Gange. Hoffentlich kommt der Fahrer nicht auf die Idee, jetzt auszusteigen, und hoffentlich treffen die drei anderen Knaben dort in der Fabrik auf ordentliche Gegenwehr.
Rudy lässt sich an dem sanft schnurrenden Wagen entlangrollen. Jetzt beginnt die gefährlichste Phase, denn ein einziger, zerstreuter Blick des Chauffeurs in den Rückspiegel, und Rudy ist geliefert. Zentimeter für Zentimeter schiebt er sich vorwärts, die Fingernägel in die Risse im Asphalt gekrallt. Er erreicht die Fahrertür. Langsam, fast ohne zu atmen, schiebt er sich in die Höhe. Der Lärm in der Fabrik nimmt zu und übertönt Rudys Geräusche. Er hält die Mündung der Luger gegen die dunkle Scheibe.
Und schießt.
Die Scheibe zerbirst. Rudy schiebt seine Waffe in die entstandene Öffnung. Tausende von Glaskrümeln regnen in den Innenraum. Der Fahrer hängt leblos und mit Splittern bedeckt in seinem Sicherheitsgurt. Sein Hals besteht nur noch aus blutigen Fetzen. Rudys Kugel hat ihn zerrissen. Entsetzt betrachtet Rudy den Mann: Das hat er nicht gewollt. Er hatte geplant, die Scheibe zu zertrümmern, den Überraschungseffekt zu nutzen, um den Kerl aus dem Auto zu werfen und sich vom Acker zu machen. Und jetzt hat er schon wieder jemanden getötet! Aber Waffen sind nun einmal zum Töten da, Rudy! Die Luger ist nicht mit Paintballs geladen. Aus dem Spiel ist ein Kampf auf Leben und Tod geworden.
Rudy schnallt den Fahrer ab, wirft ihn auf die Straße, setzt sich auf die Glassplitter, legt den ersten Gang ein und vollführt just in dem Augenblick einen Kavalierstart, als die anderen mit rauchenden Waffen und vollgepackt mit Beute aus der Fabrik stürmen. Sie schießen
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