Ödland - Thriller
ihren Panzerfäusten, die hier und dort in der Ruhr dümpelnden Leichen und die vielen blutüberströmten Toten. Ohne die geringsten Gewissensbisse wirft er den Stoff ins taunasse Gras. Bitte sehr, ihr Ameisen - fresst, bis ihr platzt!
Die 5000 Euro hingegen kommen ihm ausgesprochen gelegen. Als Erstes wird er in Koblenz anhalten, sich waschen und sich eine neue Garderobe zulegen. Den BMW will er dort stehen lassen; der Wagen ist zu auffällig, umso mehr, als er womöglich gestohlen ist.
Rudy dreht den Zündschlüssel. Der Bordbildschirm flammt auf.
»Retinamuster unbekannt. Bitte geben Sie den Sicherheitscode ein.«
Scheiße. Rudy sucht nach einer Tastatur, auf der er den ihm unbekannten Code eingeben könnte, und entdeckt sie hinter der eingebauten Hi-Fi-Anlage, die offenbar mutwillig mit Schraubenzieher und Brecheisen zerstört worden ist. Also doch ein gestohlener Wagen! Rudy tippt aufs Geratewohl, doch nichts tut sich. Die Tasten sind blockiert. Mist! Was tun? Um nicht tatenlos dazusitzen, dreht er den Schlüssel noch ein Stückchen weiter im Schloss.
Sofort springt der H5 an. Der ausgezeichnet eingestellte Wasserstoffzellen-Motor gibt ein sanftes Pfeifen von sich. Nur der Bordcomputer spielt verrückt.
Fatal Error, verkündet er. System failed, setzt er hektisch blinkend hinzu.
Rudy testet Scheinwerfer, Blinker, Scheibenwischer und die Lenkung, aber alles funktioniert bestens. Vorsichtig setzt er den Wagen in Bewegung, gibt Gas, bremst - auch hier findet er nicht das geringste Problem. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, welcher Systemfehler da vorliegen soll... Rudy fädelt sich wieder in den Verkehr der Autobahn ein und überlässt es dem Auto, sich mit seinem elektronischen Gewissen auseinanderzusetzen.
In Koblenz angekommen, orientiert Rudy sich Richtung Industriegebiet, das sich an den früher auf Erdölverladung spezialisierten und inzwischen zum Umschlagplatz für Methan und Wasserstoff umfunktionierten Hafen anschließt. Er sucht nach einem möglichst unauffälligen Versteck für den BMW, denn je später man den Wagen findet, desto später kommt man ihm auf die Spur. Vermutlich würde die Polizei die Verfolgung aufnehmen - für ein solches Auto kann man sich ruhig einmal anstrengen -, vielleicht auch die Dealer, denen der Inhalt des Handschuhfachs sowie dessen Verbleib sicher am Herzen liegen, ganz bestimmt aber die Leute von Sektion 25, die Rudy den Tod ihres Kommandanten wahrscheinlich ziemlich übel nehmen. So, wie er seine ehemaligen Kameraden einschätzt, würden sie die Verfolgung nicht der Polizei überlassen, sondern sich hartnäckig und bösartig wie mannscharfe Pitbulls an seine Fersen heften. Er weiß genau, dass er Tausende von Kilometern zwischen sie und sich legen muss, um wirklich Ruhe vor ihnen zu haben. Vor allem, weil die Sektion 25 zum Kommando Survival gehört, das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa aktiv ist. Mit einem Schlag wird Rudy klar, dass er nie sicher sein wird, solange er in Europa bleibt.
Zwischen zwei Docks entdeckt er ein düsteres, schmutziges, mit Unrat übersätes Gässchen. Er zwängt sich mit dem H5 hinein, fährt den Wagen bis zum Ende durch und setzt ihn gegen einen Stapel rostiger Fässer. Bedauernd lässt er die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Sie gibt einen satten Klang von sich. Schade um das schöne Gefährt!
Zu Fuß macht Rudy sich auf den Weg in die Innenstadt. Er besichtigt den Zusammenfluss von Mosel und Rhein, erfreut sich an dem schönen Park am Deutschen Eck, sieht Ausflugsdampfer, auf denen noch vereinzelte Touristen herumschippern, bewundert die imposante Feste Ehrenbreitstein, die vom anderen Ufer herübergrüßt, und genießt den Reichtum der Innenstadt mit ihren Einkaufsvierteln. Schnell allerdings entdeckt Rudy den Grund für so viel Üppigkeit: Auf Plakaten wirbt die Stadtverwaltung dafür, sich bei einem bevorstehenden Referendum für die Umwandlung der Stadt Koblenz in eine Enklave auszusprechen. Natürlich bedeutet ein solcher Schritt das Ende der Aufenthaltsgenehmigung fast sämtlicher Immigranten bis auf diejenigen, die für niedrige Arbeiten gebraucht werden. Man wird ihre unhygienischen Behausungen niederreißen, an deren Stelle Grünflächen oder luxuriöse Geschäfte schaffen und rings um die Stadt einen Elektro- oder Plasmazaun errichten, damit die Privilegierten unter sich bleiben und in maximaler Sicherheit ein abgeschiedenes Leben führen können. Vielleicht ist es heute das letzte Mal,
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