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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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an ein wunderbares Medium mitgegeben, daher besuchten sie eine Séance, und Vee bekam alles über den Patentmedikamentenhändler zu hören, der sie in einem Lieferwagen großgezogen hatte – bis hin zu den Sätzen, mit denen dieser Mann seine Kundschaft angesprochen hatte. Weiß der Himmel, wenn das ein Trick war, dann ein wirklich raffinierter!
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    Nur eine Wolke trübte diesen zweiten Honigmond, doch die verbarg Bunny in seiner Seele. Sowohl in Berlin als auch in Wien gab es «Jugendzeitungen», und er hielt sich für verpflichtet, deren Redaktionen aufzusuchen, die rebellischen Redakteure zum Essen einzuladen und Rachel Briefe zu schicken, die sie abdrucken konnte. In Wien kümmerte sich eine englischsprachige Zeitung um die Verteidigung politischer Gefangener; es war ein kommunistisches Blatt, aber so gut getarnt, dass Bunny es nicht merkte, außerdem hätte er die Redakteure ohnehin kennenlernen wollen. Immer noch bemühte er sich ebenso redlich wie vergeblich, beide Seiten zu verstehen, selbst hier in Mitteleuropa, wo Sozialisten und Kommunisten sich häufig offen bekriegt hatten.
    In dieser finsteren Redaktion in einem Wiener Arbeiterviertel hatte Bunny eine gespenstische Begegnung. Ihm wurde ein Geschöpf vorgeführt, das früher einmal ein junger Mann gewesen war, jetzt aber kaum mehr als ein mit grüngelber Haut überzogenes Skelett. Es hatte nur noch ein Auge und ein Ohr, konnte nicht sprechen, weil ihm die Zunge herausgerissen oder -geschnitten worden war, die meisten Vorderzähne waren ausgeschlagen und die Wangen vernarbt von den Brandwunden der Zigaretten. Auch die Fingernägel hatte man ihm ausgerissen und Löcher in die Hände gebrannt. Die Männer in der Redaktion schoben sein Hemd hoch und zeigten Bunny, wie zerschnitten sein Fleisch war, zerfetzt von Peitschenhieben kreuz und quer – wie eine schraffierte Federzeichnung.
    Es war aus einem rumänischen Kerker entkommen, und seine Narben verwiesen auf die Strafen dafür, dass er sich geweigert hatte, seine Genossen an den weißen Terror zu verraten. Die Redaktion besaß Fotos, Briefe und beeidigte Erklärungen, denn so etwas widerfuhr Tausenden von Männern und Frauen in Rumänien. Die Regierung lag in den Händen einer Verbrecherbande aus der herrschenden Klasse, die sich landauf, landab alles unter den Nagel riss und die Bodenschätze des Landes verhökerte. Eines der größten rumänischen Ölfelder war gerade an ein amerikanisches Konsortium verpachtet worden. Vielleicht hatte Genosse Ross davon gehört? Ja, das hatte Genosse Ross. Er sparte sich die Bemerkung, dass sein Vater an dem Handel beteiligt war.
    Dieses Opfer des weißen Terrors stammte aus Bessarabien, einem Gouvernement, das man Russland mit dem löblichen Motiv der Autonomie weggenommen hatte. 126 Dort lebten russische Bauern, deren begreiflicher Kampf um Freiheit damit beantwortet wurde, dass nicht nur jeder, der sich auflehnte, sondern auch jeder, der Sympathie mit der Revolte bekundete, abgeschlachtet oder zu Tode gefoltert wurde. Und dies war kein Einzelfall, so sah es entlang der ganzen russischen Grenze aus, tausend Meilen von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. All diese von russischen Bauern bewohnten Provinzen und Gebiete waren den Roten weggenommen und den Weißen überlassen worden. Und damit ergab sich folgende Situation: Östlich der Grenzlinie besaßen die Bauern eigenes Land und die Regierungsmacht, es waren freie Männer und Frauen, die eine Arbeiterkultur schufen; die Bauern auf der anderen Seite hingegen waren Leibeigene, den Gutsherren auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, der Früchte ihrer Mühen beraubt, und wenn sie zu murren wagten, wurden sie verprügelt oder erschossen. Es war nicht zu verhindern, dass die Bauern von der einen Seite manchmal auf die andere kamen, und der Kontrast zwischen den beiden Gesellschaftsformen war so deutlich, dass ihn jedes Kind begriff. So ging der Klassenkampf ständig weiter, ein schrecklicher Bürgerkrieg, über den kein Wort nach außen dringen durfte.
    Wenn dieser Landadel sich selbst überlassen geblieben wäre, hätte er kein Jahr überleben können. Aber sie hatten das Kapital aus der ganzen Welt hinter sich; sie bekamen die Munition für ihre Massaker oder das Geld, um Munition herzustellen, von amerikanischen Großunternehmen. Ja, es war Amerika, das diesen weißen Terror am Leben hielt, um Zinsen auf Schulden einzustreichen, ins Land einzudringen und alles aufzukaufen – die Eisenbahnen, die Minen, die Ölfelder und

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