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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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auf dem Schreibtisch liegen, und als er zurückkam, war es verschwunden. Nachfragen beim Hotelpersonal brachten keine Klärung. Zwei Tage später kam Bertie zu ihm, von einem weiteren Wutanfall gebeutelt. Sie kannte den gesamten Inhalt des Manuskripts – welche Schande brachte er über seine Familie!
    «Eldon spioniert mich also aus!», rief Bunny und war drauf und dran, selber wütend zu werden, doch Bertie erwiderte, Unsinn, Eldon habe nichts damit zu tun, das sei der französische Geheimdienst. Ob er auch nur einen Augenblick lang geglaubt habe, die Regierung werde sich über die bolschewistische Propaganda nicht auf dem Laufenden halten? Oder sie werde zulassen, dass er ihr Land als Stützpunkt für eine Verschwörung gegen den Frieden in Europa benutze?
    Bunny wollte wissen, ob sie wirklich so beschränkt wären, sich einzubilden, sie könnten ihn daran hindern, von seinen Wiener Erlebnissen nach Hause zu berichten? Er würde den Artikel noch einmal schreiben und Wege finden, ihn nach Amerika zu schleusen, allen Spionen zum Trotz.
    Daraufhin brach Bertie endgültig zusammen und weinte. Warum hatte er sich denn ausgerechnet Rumänien aussuchen müssen? Da hatte sie all ihre Beziehungen spielen lassen, von Verne in Washington bis zum Prinzen Marescu in Bukarest, um Eldon einen hohen diplomatischen Posten zu verschaffen, und nun kam Bunny daher und versaute ihnen alles!
    Und nicht nur das. Er war ein blinder Narr. Merkte er denn nicht, dass Marescu an Vee interessiert war? Wollte er sie ihm überlassen? Der Prinz würde durch die französische Regierung, die Rumänien mit Waffen gegen Russland versorgte, natürlich von der Sache erfahren. Angenommen, er käme nach Paris und würde Bunny zum Duell fordern?
    Daraufhin konterte der junge Besserwisser: «Dann tragen wir das mit Tennisschlägern aus!»
    4
    Die Dinge spitzten sich zu. Ein Brief für Bunny mit einer französischen Marke, aber in einer vertrauten Handschrift, ließ sein Herz höherschlagen. Er riss ihn auf und las:
    «Mein Sohn, ich bin ein paar Tage in der Stadt, würdest Du Dich mit mir treffen?
    In alter Freundschaft, Dein Paul Watkins»
    Bunny war jetzt vierundzwanzig, aber es war noch genauso wie vor elf Jahren, als er seinen Vater stehen gelassen hatte und rufend durch Mrs Groartys Hinterhof gelaufen war: «Paul! Paul! Wo bist du? Bitte geh nicht weg!» Bunny hatte eine Verabredung mit Vee, aber vor der konnte er sich drücken – seine Schwester würde sie eben zu einer dieser diplomatischen Teegesellschaften einladen, wo man dem Fürsten Soundso und der Herzogin von Sowieso begegnete. Und Bunny eilte zu dem schäbigen Hotel, in dem sein Freund abgestiegen war.
    Paul war abgezehrt; man reiste nicht nach Moskau, um zuzunehmen. Aber auf seinem sonst so nüchternen Gesicht lag ein fanatisches Leuchten – das, was sein Bruder Eli die Klarheit des Herrn nannte. 127 Dad hätte sie beide für gleichermaßen verrückt erklärt, aber Bunny kam es nicht so vor; über Elis Gott machte er sich lustig, aber an den von Paul glaubte er – zumindest genug, um in seiner Gegenwart zu zittern. Paul hatte wieder unter einer Arbeiterregierung gelebt, aber diesmal nicht als Lohnsklave und Streikbrecher in Army-Uniform, sondern als freier Mann und Herr der Zukunft. Deshalb saß Bunny in diesem schmuddeligen Hotelzimmer jetzt einem Apostel gegenüber; Paul mit seinem düsteren, entschlossenen Gesicht und dem an Schinderei gewöhnten Leib war die schiere Verkörperung der kämpfenden Arbeiterklasse!
    Und die Wunder, von denen er zu erzählen wusste, waren Wirklichkeit. Allen voran ein immaterielles Wunder – hundert Millionen Menschen übernahmen die Staatsgewalt und verkündeten den Sturz von Herren und Ausbeutern, von Königen, Priestern, Kapitalisten und all dem Schmarotzergeschmeiß. Aber es war auch ein handgreifliches Wunder, denn diese hundert Millionen Menschen beherrschten ein Sechstel der Erdoberfläche und errichteten eine neue Gesellschaft, ein Modell für die Zukunft. Natürlich waren sie arm, sie hatten ein völlig zerstörtes Land übernommen. Aber was bedeuteten ein paar Jahre und ein wenig Hunger, verglichen mit den Jahrhunderten der Quälerei, die sie überlebt hatten?
    Paul beschrieb ihm Moskau. Als Erstes die Jugendbewegung: Eine ganze Generation lernte soeben, sich keinen Sand mehr in die Augen streuen zu lassen, frei zu sein, ihre naturgegebenen Rechte in Anspruch zu nehmen und der Arbeiterklasse zu dienen, statt über sie hinweg nach oben zu

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