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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Daraufhin hatten sie in zwanzig Fuß Entfernung einen Schacht gegraben, so groß, dass zwei Männer darin arbeiten konnten; sie hatten den Boden mit Brechstangen aufgerissen und die Brocken mit großen Hacken in Eimer gekratzt, während die Männer oben die Eimer mit einem Seil in die Höhe hangelten. Sobald sie tiefer waren als das Kind, hatten sie sich von der Seite herangearbeitet und es unversehrt herausgeholt. Der Haken hatte gegen den Oberschenkel gedrückt, die Haut aber nicht verletzt, der blaue Fleck war bald verschwunden, und nach ein paar Tagen war das Kind wieder wohlauf.
    Wie seltsam das Leben doch war! Wenn Bunny an diesem Tag zu Hause geblieben wäre, hätte er Rosie Taintor zum Footballspiel mitgenommen, und in dem Augenblick, in dem der arme Joe Gundha in den Tod stürzte, hätte sich Bunny wegen ein paar Yards Raumgewinn für seine Mannschaft die Seele aus dem Leib gebrüllt. Und jetzt am Abend wäre er beim Tanzen, so wie Bertie, die ja tatsächlich bei einer ihrer vornehmen Freundinnen oder auf einer eleganten Hotelparty tanzte. Bunny sah sie vor sich, mit schimmerndem Dekolleté, einem Kleid aus weichem, glänzendem Stoff, strahlenden Wangen und lebhaftem Gesicht; sie würde am Champagner nippen oder in den Armen von Ashleigh Mathews, dem jungen Mann, in den sie gerade verliebt war, durch den Saal gleiten. Tante Emma hatte sich bestimmt fein gemacht und spielte mit Freunden Karten, und Großmutter malte einen jungen Lord oder Herzog oder dergleichen in Kniehosen und Seidenstrümpfen, wie er gerade seiner Herzensdame die Hand küsste!
    Ja, das Leben war seltsam – und grausam. Man lebte im kleinen, beschränkten Kreis des eigenen Bewusstseins, und wie das Sprichwort schon sagt: «Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.» Thanksgiving war einem vergällt, weil ein einziger armer Arbeiter in ein Bohrloch gerutscht war, das einem zufällig gehörte. Im ganzen Land kamen in anderen Bohrlöchern Dutzende, vielleicht Hunderte von Männern zu Schaden, aber das kümmerte einen kein bisschen. Oder zum Beispiel die Soldaten, die drüben in Europa starben! Von Flandern bis an die Schweizer Grenze verschanzten sich die Heere in Schützengräben und bombardierten einander Tag und Nacht, und dabei wurden Tausende zerfleischt, genauso schrecklich wie von einem Greifer an der Sohle eines Bohrlochs. Doch davon würde man sich niemals das Thanksgivingdinner vermiesen lassen, auf keinen Fall! Diese Männer bedeuteten einem nicht mehr als die Wachteln, die man am nächsten Tag schießen würde.
    Der Coroner kam, sie beerdigten Joe Gundha auf einer etwas abgelegenen Hügelkuppe außer Sichtweite und markierten die Stelle mit einem Holzkreuz. Das war eine Aufgabe für Mr Shrubbs, den Prediger in Elis Kirche. Eli kam auch mit, ebenso der alte Mr Watkins, seine Frau und andere ältere Damen und Herren aus der Kirche, die gern zu Beerdigungen gingen. Merkwürdig – Dad schien erleichtert, dass er sie holen konnte und sie ihm sagten, was zu tun war. Sie wussten es, und er wusste es nicht. Es lag auf der Hand, dass es dem armen Teufel nichts mehr half, wenn über seinem zerfetzten Leichnam gepredigt und gebetet wurde, aber es war doch immerhin etwas, es gab Leute, die kamen und das erledigten, und man selbst brauchte weiter nix tun wie eine Weile barhäuptig in der Sonne stehen und danach dem Prediger einen Zehndollarschein geben. Ja, so lief das ab, im Tod wie im Leben; man wollte, dass etwas getan wurde, es gab jemand, dessen Beruf es war, genau das zu tun, und man bezahlte ihn dafür. Bunny erschien das als ein natürliches Phänomen – und ein immer gleiches, ob nun Mr Shrubbs über dem toten Roughneck betete, der Tankwart das Auto mit Benzin, Öl, Wasser und Luft versorgte oder die Beamten einem eine Straße bauten.
    Dad hatte Mrs Gundha die traurige Nachricht bereits telegrafisch mitgeteilt und hinzugefügt, er schicke ihr einen Scheck über hundert Dollar, um die unmittelbar anfallenden Kosten zu decken. Jetzt berichtete ihr Dad in einem Brief, was geschehen sei und dass sie ihr per Express eine Schachtel mit den Sachen ihres verstorbenen Mannes zusenden würden. Dad habe eine Versicherung, die die Haftung für Unfälle übernehme, und Mrs Gundha erhalte ihr Geld von der Versicherungsgesellschaft, sie müsse ihren Anspruch der Abteilung für Arbeitsunfälle melden. Die werde ihr wahrscheinlich fünftausend Dollar zuerkennen, und Dad hoffe, sie werde das Geld in Bundesanleihen anlegen und sich von niemandem

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