Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
Abdeckung für das Loch, und von jedem, der in den Bohrkeller ging, erwartete man, dass er sie darüberschob. Natürlich gab die Erde am Rand nach, sodass das obere Ende des Lochs zu einer Art Trichter wurde, dessen Wände vom Schlamm und in diesem Fall auch von Ölspuren glitschig waren; dennoch ließen die Männer es darauf ankommen und schlitterten um diesen gähnenden Abgrund herum. Was konnte man da machen?
    «Hat er Familie?», fragte Dad.
    «Paul Watkins hat er erzählt, dass er Frau und Kinder in Oklahoma hat; er hat dort auf den Ölfeldern gearbeitet.»
    Dad saß regungslos da und starrte vor sich hin, und niemand sagte ein Wort. Sie wussten, dass er wirklich Anteil an seinen Männern nahm, für ihn war es Ehrensache, sich um sie zu kümmern. Bunny war ganz schlecht. Verdammt noch mal, so eine Schande, ausgerechnet in seinem Bohrloch, seinem ersten, mit dem das neue Gelände eröffnet werden sollte! Ihm war alles verdorben, er würde sich an seinem Öl, wenn er es bekam, nicht mehr freuen können.
    «Also gut», sagte Dad schließlich, «was macht ihr jetzt? Mit einem Haken da unten rumwackeln? So kriegt ihr ihn nie hoch. Ihr müsst einen Dreizangengreifer runterschicken.»
    «Ich hab gedacht, der zerreißt ihn, deswegen …», erklärte Dave Murgins zögernd.
    «Ich weiß», sagte Dad, «aber es muss sein. Er wird sowieso nicht mehr am Leben sein. Stellt die Zangen so ein, dass sie grad ins Loch passen und zwängt sie um den Körper. Los, bringt es hinter euch, und hoffen wir, dass die anderen was draus lernen.»
    Dad stieg aus dem Auto und bat Bunny, ihre Sachen ins Rascum-Haus zu tragen und Ruth die Nachricht zu überbringen; sie würde sich bestimmt aufregen, vor allem wenn sie den Mann gekannt hatte. Bunny begriff, dass Dad ihn nicht dabeihaben wollte, wenn der zerfetzte Leichnam aus dem Loch kam, und da er ohnehin nichts ausrichten konnte, wendete er schweigend das Auto und fuhr davon. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie die Männer den Greifer auf das Bohrgestänge schraubten – ein Werkzeug, das auf Hindernisse, die ins Loch gefallen waren, herabgelassen wurde und sie mit scharfen Haken umfasste. Sie konnten Joe Gundha an den Beinen erwischen, aber auch am Kopf – puh, wenn man noch Freude am Wettkampf ums Öl haben wollte, war es besser, nicht allzu viel darüber nachzudenken!
    Ein paar Stunden später kam Dad zur Hütte und legte sich eine Weile hin, um auszuruhen. Sie hatten die Leiche rausgeholt, berichtete er, und nach dem Coroner telefoniert, der würde einige der Männer als Jury vereidigen, andere als Zeugen vernehmen, sich die Leiche anschauen und sie dann zur Beerdigung freigeben. Paul war zur Schlafkoje des Toten gegangen, hatte seine Sachen durchgesehen und alles in eine Schachtel gepackt, die man seiner Frau schicken würde. Dad trug ein halbes Dutzend Briefe in der Tasche, die bei diesen Sachen gefunden worden waren, und damit Bunny nicht meinte, Geld werde leicht verdient oder das Leben sei ein Kinderspiel, gab er sie ihm. Bunny setzte sich in eine Ecke und las sie – armselige kleine Botschaften, hingekritzelt in einer kindlichen Handschrift: Der Arzt habe gesagt, Susies Herz werde nach der Grippe noch lange schwach sein, der Säugling bekomme schon wieder zwei Zähne und sei furchtbar quengelig, und gerade sei Tante Mary da gewesen und habe erzählt, dass sich Willie in Chicago gut mache; daneben standen ein paar Kreuze und Kreise, die bedeuteten Küsse von Mama und Susie und vom Säugling. Nur ein Satz munterte Dad und Bunny etwas auf: «Ich bin froh, dass du so einen guten Boss hast.»
    Es wurde ein trauriger Thanksgivingabend. Sie aßen ein wenig von dem Festmahl, das Ruth gekocht hatte, aber ohne rechte Freude. Sie sprachen über Unfälle, und Dad erzählte von einem, der in seinem ersten Bohrloch passiert war. Sie waren erst dreißig Fuß tief gewesen, als ein kleines Kind in den Bohrkeller gekrabbelt und ins Loch gerutscht war. Es hatte mehrere kräftige Männer gebraucht, um die Mutter zurückzuhalten, während die anderen versuchten, das Kind herauszuholen. Eine Weile hatten sie es mit Seil und Fanghaken probiert, tatsächlich den Haken unter den Körper des Kindes bekommen und es sacht ein paar Fuß hochgehoben, aber dann hatte sich der Körper irgendwie verkeilt, und sie hatten nichts mehr ausrichten können. Das Kind hing dort fest, es schrie nicht, sondern gab nur leise, stöhnende Laute von sich, so wie «hu-hu», unaufhörlich; sie hörten es ganz deutlich.

Weitere Kostenlose Bücher