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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Bunny gerade tastend nach etwas Anderem, Besserem in seinem Leben gesucht hatte. Paul hatte ihm ein Ideal gegeben, etwas Strenges und Schweres: Selbstständigkeit, geistige Unabhängigkeit, die Entschlossenheit, dem Leben mutig entgegenzutreten und es zu verstehen, sich nicht beirren zu lassen durch die Jagd nach Geld oder Vergnügen. Bunny hatte diesem Ideal nicht zu folgen vermocht, nein, er hatte im Luxus gelebt und war hinter den Frauen her gewesen, aber er hatte immerhin dieses Wunschbild vor Augen gehabt, die Sehnsucht, wie Paul zu sein.
    Und dann sei ihm Paul in jeder Lebenskrise eine Art Richtschnur gewesen, an der er sich und sein Tun messen und ablesen konnte, wie wenig Erfolg er hatte. Paul hatte ihm beigebracht, wer die Arbeiter waren und wie sie sich fühlten, Paul war die Verkörperung der neuen, erwachenden Arbeiterklasse. Pauls Geist war der Scheinwerferstrahl gewesen, der die Welt erhellte und Bunny zeigte, was er wissen musste. Jetzt war das Licht erloschen, und Bunny musste sich mit Hilfe seiner eigenen schwachen Laterne zurechtfinden.
    «Vielleicht wird er wieder gesund, Liebes», flüsterte Rachel, aber Bunny stöhnte, nein, nein, er werde sterben. Wie ein gezackter Blitz stand vor seinem inneren Auge die Röntgenaufnahme von Pauls gesprungener Schädelbasis. Das Licht war aus, zumindest das aus dieser Welt; eine Bestie mit einem Eisenrohr hatte es gelöscht.
    Rachel umarmte ihn und versuchte ihn mit Zärtlichkeiten abzulenken. Natürlich hatte sie Erfolg, er durfte ihre Liebe doch nicht zurückweisen. Danach schlief er ein wenig. Rachel aber schlief nicht, sie lag da und hielt ihn in ihren Armen, weil er im Schlaf zuckte, zusammenfuhr und an allen Gliedern zitterte – so wie sie gezittert hatte, als die großen Geschütze losgegangen waren.
    Was machte Bunny in diesem Augenblick? Kämpfte er gegen diese Bestien mit ihren Schlägern, Beilen und Eisenrohren? Oder durchlebte er jene alten Zeiten, als er Paul und Ruth nicht von der Seite wich und Dinge mit ansehen musste, die ihm in der Seele wehtaten? Mit ansehen, wie Dad die Familie um ihr Land brachte, mit ansehen, wie die Ölbosse den ersten Streik niederschlugen, mit ansehen, wie die Regierung Paul fortriss und ihn zu einem Streikbrecher im Dienste der Wall Street machte, mit ansehen, wie Vernon Roscoe Paul ins Gefängnis warf, mit ansehen, wie der Kapitalismus mit seinem weltweiten Terrorsystem Paul bald hierhin, bald dorthin jagte, ihn quälte, verleumdete und bedrohte – bis er am Schluss die Bestie mit dem Eisenrohr anheuerte!
    8
    Der Morgen kam, und sie kehrten ins Krankenzimmer zurück. Nichts hatte sich verändert. Paul lag noch immer röchelnd da, und Ruth saß auf einem Stuhl neben dem Bett, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet, die Hände krampfhaft gefaltet. Sie war noch bleicher geworden, das war alles, und ihre Lippen bebten in einem fort. Die Krankenschwester beschwor sie, sich hinzulegen und auszuruhen, doch sie schüttelte den Kopf. Nein, sie sei es gewohnt, bei Kranken zu wachen, sie sei selbst Krankenschwester. Die andere entgegnete, alle Schwestern schliefen, wenn sie könnten. Aber nein – Ruth wollte unbedingt bleiben, bitte.
    Der Chirurg kam noch einmal. Es gebe nichts für ihn zu tun, man könne nur abwarten. Bunny nahm ihn beiseite und fragte, wie die Chancen stünden. Unmöglich zu sagen. Wenn Paul sich erhole, werde er das Bewusstsein wiedererlangen. Wenn er stürbe, so vielleicht an einer Meningitis oder einem Blutgerinnsel im Gehirn.
    Rachel fand, man müsse die Familie benachrichtigen. Also schickte Bunny ein Telegramm an Abel Watkins in Paradise, er solle sich auf Bunnys Rechnung ein Auto mieten und mit der Familie hierherkommen. Er überlegte, ob er verpflichtet war, Eli zu telegrafieren, und befand, nein. Das mochte der alte Mr Watkins tun; Bunny wollte sich danach richten, was Paul sich gewünscht hätte. Dann kaufte er die Morgenzeitungen und las die triumphierenden Berichte über die Vorfälle dieser Nacht. Man habe den Roten eine längst fällige Lektion erteilt, jetzt herrsche im Hafenviertel wieder Recht und Ordnung.
    Es war der Morgen des Wahltags: Höhepunkt einer Kampagne, die Bunny wie ein einziger langer Albtraum erschienen war. Senator LaFollette hatte mit Unterstützung der Sozialisten kandidiert, sein großes Thema war der Ölschwindel gewesen, dass die Enthüller des Verbrechens auf der Anklagebank saßen, während die Verbrecher selbst noch immer an der Macht waren. Anfangs hatten die

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