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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Zustand am Boden lag. Rachel hatte ein sauberes Taschentuch über das verletzte Auge gelegt und ihm ein Kissen unter den Kopf geschoben. Die anderen Opfer waren bereits abtransportiert worden, und man hatte die Tür der ramponierten Halle geschlossen, um die Schaulustigen draußen zu halten.
    Der Chirurg kam und diagnostizierte eine Gehirnerschütterung. Alles deutete darauf hin, dass er einen schweren Schlag gegen die Schädelbasis erlitten hatte – entweder hatte einer auf Pauls Auge eingedroschen und er war im Fallen mit dem Hinterkopf aufgeprallt, oder ein Hieb von hinten hatte ihn niedergestreckt, und dann hatte ihm jemand einen Schlag aufs Auge verpasst oder war auf ihm herumgetrampelt. Als Erstes musste eine Aufnahme gemacht werden. Sie brachten den Bewusstlosen in eine Röntgenpraxis, wo er durchleuchtet wurde, und der Chirurg zeigte Bunny und Rachel den Riss an der Schädelbasis, der oberhalb der Mundhöhle bis nach vorn verlief. Man konnte nichts tun, es war unmöglich, an einer solchen Stelle zu operieren. Nun kam es darauf an, wie sehr das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen war, das würde sich mit der Zeit erweisen. Sie mussten den Patienten ruhigstellen.
    In diesem Viertel gab es ein Privatkrankenhaus, und so dauerte es nicht lange, bis Paul in einem Bett lag, einen Verband über dem Auge und den Kopf in einer Schlinge, damit auf die verletzte Stelle kein Druck ausgeübt wurde. Bunny und Rachel saßen daneben und blickten ihn traurig an. Wie so viele Frauen konnte auch Rachel Gedanken lesen. «Wirst du dir nun ein Leben lang Vorwürfe machen, Liebster, weil du nicht hineingelaufen bist und dir auch den Schädel hast einschlagen lassen?» Nein, er hätte dies Unheil nicht verhindern können, das wusste er, aber warum musste es ausgerechnet Pauls Gehirn sein, für Bunny das klügste auf der Welt?! Er saß da und starrte ihn an, grübelnd und voller Entsetzen.
    Aber ihnen stand noch eine weitere schwere Aufgabe bevor. «Wir müssen es Ruth sagen», ermahnte ihn Rachel. Um ihn zu schonen, bot sie ihm an, sich darum zu kümmern. Sie rief ihren Bruder Jacob an; der war gerade von einer Sitzung heimgekommen und musste nun mit einem Taxi zu Ruth fahren und sie ins Hafenviertel bringen.
    Zwei Stunden später kam Ruth die Treppe hochgerannt, das Gesicht vor Angst starr wie eine Maske. «Wie geht es ihm? Wie geht es ihm?» Als sie ins Zimmer trat und Paul sah, stockte sie. «Oh – wie ist das passiert?» Und als sie es ihr gesagt hatten: «Wird er es überleben?» Sie trat näher, die Augen unverwandt auf sein Gesicht gerichtet. Ihre Hände streckten sich nach ihm aus, zogen sich wieder zurück, weil sie ihn nicht berühren durfte, strebten wieder nach vorn, als hätten sie einen eigenen Willen. Plötzlich gaben ihre Knie nach, sie sank zu Boden, barg das Gesicht in den Händen und schluchzte, schluchzte.
    Die beiden versuchten sie zu trösten, aber Ruth nahm sie kaum wahr. Sie war ganz allein im furchtbaren Labyrinth des Leids. Bunny betrachtete sie und spürte, wie ihm heiße Tränen über die Wangen rannen. Vee hatte gemeint, es sei nicht natürlich, wenn ein Mädchen so für seinen Bruder empfinde, aber Bunny wusste, was in ihr vorging – Ruth war wieder ein Kind auf den einsamen Höhen von Paradise, wo Paul ihr einziger Freund gewesen war, ihre Zuflucht vor einer fanatischen Familie, vor einem Vater, der sie verprügelte, damit sie so dachte wie er. Schon damals hatte sie erkannt, dass Paul ein großartiger Mensch war, und sie hatte ihn all diese Jahre begleitet, hatte zugesehen, wie sich sein Geist entfaltete, und alles, was sie wusste, von ihm gelernt. Und nun war dieser Geist von einer Bestie mit einem Eisenrohr zerstört worden!
    7
    Es war weit nach Mitternacht, und Rachel versuchte, Bunny loszueisen. Es gebe nichts mehr, was sie tun könnten, weder für Paul noch für seine Schwester. Sollten sie nicht in dem kleinen Hotel ein paar Häuser weiter ein Zimmer nehmen und sich ausruhen? Die Krankenschwester werde sie benachrichtigen, wenn eine Veränderung einträte. Bunny willigte ein; er durfte Rachel nicht zu viel zumuten. Er wusste, seine Verehrung für Paul hatte etwas Unnatürliches – wie sich sein Denken nach dem richtete, was Paul dachte, wie er sich haargenau an alles erinnerte, was Paul gesagt hatte. Ja, darauf hatte ihn schon Bertie hingewiesen, dann Vee und jetzt Rachel!
    Er konnte nicht schlafen, lag nur im Hotelzimmer auf seinem Bett. Und so schilderte er ihr, wie Paul aufgetaucht war, als

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