Öland
leidet er immer häufiger an brennenden Hautentzündungen
an Armen und Beinen. Weiße Hautlappen platzen ab, dieHaut löst sich auf, jeden Morgen ist das Laken mit Blutflecken übersät. Und auf dem Kissen liegen Haare, er hat eine
kahle Stelle auf dem Kopf bekommen.
Schuld sind die Sonne, die Hitze, die Feuchtigkeit. Nils löst
sich allmählich auf. Und kann nichts dagegen machen.
Nur weitertrinken. Der Wein ist schon seit einiger Zeit billiger als früher, weil der Geldstrom von seiner Mutter in den
letzten Jahren immer spärlicher geflossen ist.
Seine Mutter hat als einzige Erklärung geschrieben, der
Steinbruch der Familie sei verkauft und geschlossen worden.
Wie viel Geld sie noch hat, erzählt sie ihm nicht. Und Onkel
August hat sich seit vielen Jahren nicht mehr gemeldet.
Seit Nils Öland verlassen hat, ist er nie wieder in eine größere Schlägerei verwickelt. Aber Kommissar Henriksson steht
weiter schweigend und blutend neben seinem Bett.
Nils greift nach dem Glas und lehnt sich vor, um aufzustehen und sich in der Bar noch ein Glas einschenken zu lassen,
aber im gleichen Moment wird ihm bewusst, dass er das Lied,
das im Dunkeln gepfiffen wird, kennt.
Er bleibt am Tisch stehen und hört genauer hin.
Ja, diese fröhliche Melodie hat er vor vielen Jahren gehört.
Sie ist im Krieg oft im Radio gespielt worden und ist auch auf
einer der alten Schellackplatten seiner Mutter gewesen.
Hey, meine lustigen Brüder …
Es ist Fritiof Anderssons Parademarsch von Evert Taube,
und er erinnert sich noch an den Text.
Hey, wenn du es willst, lass es mich wissen,
dann fahren wir nach Haus in den Süden …
Er hat das Lied nicht mehr gehört, seit er Stenvik verlassen
hat – es ist ein schwedisches Lied. Nils steht auf und schaut
vorsichtig über das Holzgeländer.
Nur Schatten.
Aber sitzt da unten im Sand nicht jemand neben den Pfählen der Veranda?
»Hallo?«, ruft er leise auf Schwedisch.
Das Pfeifen verstummt sofort.
»Selber Hallo«, antwortet ihm eine Stimme aus dem Dunkeln.
Nachdem Nils’ Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennt er dort unten eine Gestalt. Es ist ein Mann mit
Hut. Er hat aufgehört zu pfeifen, bewegt sich aber nicht.
Nieselregen hat eingesetzt, als Nils zur Treppe am anderen
Ende der Veranda geht. Er legt die Hand auf das Geländer und
geht auf wankenden Beinen die Stufen hinunter.
Seit Jahren sitzt Nils abends auf der Veranda, ist aber bisher noch nie im Dunkeln am Strand gewesen. Dort gibt es
nämlich Ratten, große, hungrige Ratten.
Vorsichtig nähert er sich den dicken Stützpfählen unter
der Veranda.
Die Gestalt, die ihm geantwortet hat, sitzt entspannt zurückgelehnt in einem der Liegestühle, die man sich für ein
paar Colones in einem Laden mieten kann.
Der Mann hat seine Ärmel hochgekrempelt und trägt einen Sonnenhut, der sein Gesicht verdeckt. Er summt dieselbe
Melodie vor sich hin.
… lass es mich wissen,
dann fahren wir nach Haus …
Nils macht noch ein paar Schritte auf ihn zu, bleibt dann
aber stehen.
»Guten Abend«, sagt der Mann.
Nils räuspert sich.
»Kommen Sie aus … aus Schweden?«, fragt er.
Die schwedischen Worten fühlen sich fremd an.
»Hört man das nicht?«, erwidert der Mann im Liegestuhl.
Ein Blitz erhellt den Himmel.
Im Licht des Blitzes kann Nils einen schnellen Blick auf
das weiße Gesicht des Schweden erhaschen. Sekunden später
donnert es leise.
»Mir war es lieber, dass Sie zu mir in die Dunkelheit kommen«, sagt der Schwede.
»Was?«
»Ich wollte Sie in Ihrem Zimmer besuchen, aber Ihre Wirtin verriet mir, dass Sie die Abende meistens in dieser Bar
verbringen und trinken. Es gibt hier in Costa Rica wohl nicht
so viele Alternativen, oder?«
»Was wollen Sie von mir?«, fragt Nils verunsichert.
»Es erscheint mir wichtiger, darüber zu sprechen, was Sie
wollen, Nils.«
Nils erwidert nichts. Einen kurzen Augenblick hat er das
Gefühl, den Mann schon einmal gesehen zu haben. Als er
jung war.
Aber wann? In Stenvik?
Er erinnert sich nicht.
Der Schwede stützt sich auf die Armlehnen seines Liegestuhls und steht auf. Er wirft einen Blick aufs Meer und dreht
sich zu Nils um.
»Wollen Sie nach Hause?«, fragt er. »Nach Schweden? Nach
Öland?«
Nils nickt langsam.
»Das lässt sich arrangieren«, sagt der Schwede. »Wir werden Ihnen ein neues Leben schenken, Nils.«
22
I ch mache Ihnen keine Vorwürfe, Gerlof«, sagte Lennart bedächtig,
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