Öland
»aber Sie haben Ihrer Tochter förmlich eingeredet,
dass Nils Kant noch lebt und sich in Vera Kants Haus versteckt. Und dass er Jens auf dem Gewissen hat.«
Es war später Nachmittag, und Gerlof saß an seinem
Schreibtisch. Er sah zu Boden wie ein ertappter Schuljunge.
»Ja, ich habe so was angedeutet«, gestand er schließlich.
»Nicht, dass Nils sich in Veras Haus versteckt hält, das habe
ich nie gesagt, aber dass er eventuell noch am Leben ist …«
Lennart seufzte. Er war ins Altersheim gekommen, um
Gerlof zu erzählen, dass Julia bei Astrid untergekommen war
und sich dort erholte.
»Wie geht es ihr denn?«, fragte Gerlof leise.
»Der rechte Fuß ist verstaucht, Handgelenk und Schlüsselbein sind gebrochen, sie hatte Nasenbluten, blaue Flecken
und eine Gehirnerschütterung«, zählte Lennart auf. »Es hätte
schlimmer kommen können. Es hätte aber auch glücklicher
ausgehen können … zum Beispiel, wenn sie erst gar nicht
dort eingebrochen wäre!«
»Wird sie angezeigt?«, fragte Gerlof.
»Nein«, antwortete Lennart. »Zumindest nicht von mir.
Und sicher auch nicht von den Besitzern des Hauses.«
»Haben Sie mit ihnen gesprochen?«
Lennart nickte.
»Mir ist es gelungen, einen Neffen von Vera in Vaxjö ausfindig zu machen«, sagte er. »Ich habe ihn eben angerufen. Er ist
jünger als Nils und schon lange nicht mehr in Stenvik gewesen. Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass auch sonst
keiner aus der Familie dort gewesen ist. Es ist eine Erbengemeinschaft, die aus mehreren Cousins und Cousinen aus
Småland besteht, aber sie können sich nicht einigen, ob sie
renovieren oder doch lieber verkaufen wollen.«
»So was habe ich mir schon gedacht«, sagte Gerlof. Dann
schüttelte er den Kopf und sah den Polizisten an. »Ich habe
nie gesagt, dass ich glaube, dass Nils noch lebt, Lennart«, sagte
er. »Ich habe nur gesagt, dass einige das glauben.«
»Wer denn?«, fragte Lennart.
»Na ja, Ernst zum Beispiel«, antwortete Gerlof, der John
Hagman nicht in die Sache hineinziehen wollte. »Ernst
Adolfsson war der Ansicht. Ich glaube, er war überzeugt, dass
Kant noch am Leben ist und Jens in der Alvar getötet hat. Darum hat Ernst versucht, mich glauben zu machen, dass …«
Lennart sah ihn müde an.
»Privatdetektive!«, unterbrach er Gerlof. »Es gibt immer
Leute, die meinen, sie könnten Verbrechen besser aufklären
als die Polizei.«
Gerlof wollte schlagfertig antworten, aber ihm fiel kein
passender Kommentar ein.
»Etwas anderes ist, dass tatsächlich jemand im Haus von
Vera Kant gewesen ist«, fuhr Lennart fort.
Gerlof sah ihn überrascht an.
»Wirklich?«
»Die Tür war aufgebrochen. Und es gab Spuren im ersten
Stock. Jemand hat Zeitungsausschnitte aufgehängt, Essensreste lagen herum … und ein Schlafsack. Und der Keller ist
umgegraben worden.«
Gerlof dachte nach.
»Haben Sie das Haus untersucht?«, fragte er.
»Nur ganz kurz«, sagte Lennart. »Mir war es wichtiger, Ihre
Tochter ins Krankenhaus zu bringen.«
»Ihr Vater dankt Ihnen sehr dafür.«
»Ich habe sie bei Astrid abgesetzt und bin heute morgen
noch einmal ins Haus gegangen. Julia hat großes Glück gehabt. Die Petroleumlampe ist auf dem Steinboden zersplittert, als sie gestürzt ist. Wenn sie gegen die Wand geflogen
wäre, hätte das ganze Haus in Flammen gestanden.«
Gerlof nickte.
»Aber was war das mit dem Keller? Ist da was ausgegraben
oder vergraben worden?«
»Schwer zu sagen. Ausgegraben, würde ich eher sagen.
Oder einfach nur gegraben.«
»Einbrecher graben doch nicht nach Sachen!«, sagte Gerlof.
»Oder übernachten am Tatort.«
Lennart nickte und sah ihn müde an.
»Jetzt spielen Sie schon wieder Privatdetektiv.«
»Ich habe nur laut gedacht. Und ich denke …«
»Was?«, fragte Lennart.
»Tja … ich bin der Meinung, dass jemand aus Stenvik in
das Haus eingebrochen ist.«
»Gerlof …«
»Man kann auf Öland eine Menge unbeobachtet machen«,
fuhr Gerlof einfach fort. »Das wissen Sie auch. Hier sieht einen
doch praktisch keiner …«
»Sie können ja mal einen Beschwerdebrief über den akuten Mangel an Polizeikräften schicken«, erwiderte Lennart
schlagfertig.
»Aber Fremde registrieren die Menschen sofort. Fremde
mit Spaten, unbekannte Autos, die vor Vera Kants Haus
parken – so etwas wäre den Leuten in Stenvik sofort aufgefallen. Und soweit mir bekannt ist, ist das nicht der Fall gewesen.«
Lennart dachte
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