Öland
gehabt,
das schon wenige Monate nach Gerlofs Einzug ins Altersheim
begonnen hatte und nach etwa einem Jahr zu Ende ging, weil
seine Schmerzen zu stark wurden. Seither waren sie gute
Freunde. Beide stammten aus Stenvik, beide waren nach langen Ehen allein. Sie hatten viel gemeinsamen Gesprächsstoff.
»Geht es dir gut, Maja?«, fragte Gerlof.
»Ach ja. Ich bin gesund.«
Maja zog einen kleinen Stuhl am Teetisch neben dem Fenster hervor, und Gerlof ließ sich dankbar darauf nieder. Maja
setzte sich zu ihm, dann wurde es still.
Gerlof musste als Erster das Wort ergreifen.
»Ich frage mich, Maja, ob du mir noch einmal von einer
Begebenheit erzählen könntest, über die wir früher einmal
gesprochen haben …«
Er steckte seine Hand in die Jackentasche und holte einen
kleinen weißen Umschlag heraus, den ihm Julia vor einer
Woche gegeben hatte.
»Meine Tochter hat diesen Brief auf dem Friedhof gefunden, an Nils Kants Grabstein«, sagte Gerlof. »Ich weiß, dass du
ihn geschrieben und dorthin gelegt hast, darüber wollte ich
gar nicht mit dir reden. Ich frage mich nur …«
»Ich muss mich für nichts schämen«, unterbrach Maja
ihn.
»Natürlich nicht«, erwiderte Gerlof. »Das wollte ich auch
nicht …«
»Nils bekommt auch nie den schönsten Strauß«, verteidigte sich Maja. »Den lege ich immer auf das Grab meines
Mannes. Und ich kümmere mich auch immer zuerst um Helges Grab, bevor ich bei Nils vorbeischaue.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Gerlof. »Alle Gräber müssen gepflegt werden. Ich wollte etwas ganz anderes fragen.
Du hast einmal erzählt, dass du Nils in der Alvar getroffen
hast, und zwar an dem Tag, als er … sich um die beiden deutschen Soldaten gekümmert hat.«
Maja nickte ernst.
»Ich konnte es ihm ansehen«, begann sie zu erzählen. »Er
sagte kein Wort, aber ich konnte sehen, dass etwas passiert
war. Aber er wollte mir nicht sagen, was. Ich habe versucht,
mit ihm zu reden, aber er ist einfach wieder in die Alvar gelaufen.«
»Ich verstehe«, sagte Gerlof, machte eine kurze Pause und
fuhr vorsichtig fort:
»Du hast angedeutet, dass er dir an diesem Tag etwas gegeben hat …«
Maja starrte ihn an. Sie nickte.
»Könntest du mir das vielleicht einmal zeigen? Hast du das
noch jemand anderem erzählt?«
Maja saß regungslos vor ihm und sah ihn an.
»Niemand weiß davon«, sagte sie. »Und ich habe es nicht
bekommen, ich habe es mir genommen.«
»Wie bitte?«
»Nils hat mir nichts gegeben«, sagte Maja. »Ich habe es mir
genommen. Und ich habe das so oft bereut …«
»Ein Paket, du hast damals gesagt, es sei ein Paket gewesen.«
»Ich bin Nils gefolgt«, erzählte Maja. »Ich war achtzehn und
sehr neugierig. Viel zu neugierig. Ich habe mich hinter den
Büschen versteckt und Nils beobachtet. Er ging zum Opferhügel hinter Stenvik.«
»Zu dem Steinhaufen?«, fragte Gerlof. »Was hat er denn da
gemacht?«
Maja schwieg. Ihr Blick schweifte in weite Ferne.
»Er hat ein Loch gegraben«, antwortete sie schließlich.
»Hat er etwas vergraben?«, fragte Gerlof nach. »Hat er das
Paket vergraben?«
Maja sah ihn an und sagte:
»Nils ist tot, Gerlof.«
»So sieht es aus«, sagte er.
»Es ist so«, sagte Maja. »Niemand glaubt es, aber ich weiß es.
Sonst hätte er sich bei mir gemeldet.«
Gerlof nickte.
»Hast du das Paket ausgegraben, nachdem Nils weggegangen war?«
Maja schüttelte den Kopf.
»Ich bin schnell nach Hause gelaufen«, sagte sie. »Das habe
ich erst später gemacht … nachdem er zurückgekommen ist.«
Es dauerte einen Moment, bis Gerlof verstand.
»Du meinst, als er im Sarg zurückgekommen ist?«
Maja nickte.
»Ich bin in die Alvar gelaufen und habe es ausgegraben.«
Sie erhob sich langsam, strich ihr Kleid mit den Händen
glatt und ging zum Fernseher, der in der Ecke stand.
»Es war an einem Herbsttag in den Sechzigern, ein Jahr
nachseinem Begräbnis«, sagte Maja. »Helge war auf den Feldern und die Kinder in der Schule. Ich habe das Haus abgeschlossen und bin in die Alvar gegangen, mit einem kleinen
Spaten, den ich in einer Plastiktüte versteckt hatte.«
Gerlof sah, wie Maja bedächtig eine blau lackierte, mit roten Rosen verzierte Holzkiste aus dem Regal unter dem Fernseher hervorholte. Er kannte sie: Es war ihr altes Nähkästchen.
Sie kam damit zurück und stellte sie vor Gerlof auf den Tisch.
»Nach einer halben Stunde war ich hinter Stenvik in der
Alvar. Ich habe
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