Öland
wird?
Nils geht an einem Stein mit unebenen Kanten vorbei, der
ins Gras gebettet vor ihm liegt, er sieht aus wie ein Dreieck – und erinnert sich auf einmal wieder an alles. Er weiß jetzt
genau, wo er ist.
»Wir müssen weiter nach links«, ruft er von hinten.
Gunnar ändert wortlos die Richtung.
Nils meint ein dumpfes Geräusch im Nebel gehört zu haben, bleibt stehen und lauscht. War das ein Auto auf der
Hauptstraße? Er horcht konzentriert, hört aber nichts mehr.
Sie sind ganz in der Nähe ihres Ziels, aber als Gunnar und
Martin bei einem halbhohen Grashügel anhalten, glaubt
Nils, sie müssten noch weiter. Er kann den großen Steinhaufen der ehemaligen Opferstelle nirgendwo sehen.
»Wir sind da«, sagt Gunnar kurz angebunden.
»Nein«, widerspricht Nils.
»Doch.«
Gunnar tritt mehrmals gegen den Grashügel, bis er einige
Steinkanten freigelegt hat.
Erst da begreift Nils, dass es den Opferhügel nicht mehr
gibt. Er ist in Vergessenheit geraten. Jahrzehntelang hat keinWanderer mehr Steine hinzugelegt, um der Toten zu gedenken, und das gelbe Gras der Alvar hat den Hügel im Laufe der
Jahre bedeckt.
Nils denkt an damals, als er den Schatz vergraben hat. Er
ist so jung und beinahe stolz darauf gewesen, die beiden Soldaten erschossen zu haben.
Danach ist alles schiefgelaufen, alles.
Nils zeigt zu Boden.
»Hier, hier irgendwo«, sagt er. »Graben Sie dort.«
Er sieht Martin an, der den Spaten in der einen Hand
hält und mit der anderen fahrig eine neue Zigarette aus
der Packung zu bekommen versucht. Warum ist er nur so
nervös?
»Hier müsst ihr graben, wenn ihr den Schatz haben
wollt.«
Er tritt einen Schritt zur Seite und stellt sich auf die andere
Seite des Opferhügels. Er hört den ersten Spatenstich, sie haben begonnen.
Nils starrt in den Nebel, sieht jedoch nichts, alles ist still.
Hinter ihm hat Martin bereits eine tiefe Rinne gezogen.
Schon bald ist er auf Steine gestoßen, die Gunnar mit der
Spitzhacke wegklopft. Martin atmet schwer und sieht Nils
wütend an.
»Hier ist nichts, hier sind nur Steine.«
»Doch«, beteuert Nils und sieht in das Loch, »hier habe ich
sie versteckt.«
Aber das Versteck ist leer, genau wie Martin gesagt hat.
»Darf ich den mal haben?«, fragt Nils und streckt seine
Hand verärgert nach dem Spaten aus.
Dann gräbt er selbst mit schnellen und kräftigen Spatenstichen.
Schon bald entdeckt er die flachen Kalksteine, die er vor
langer Zeit vom Steinhaufen genommen hat – zum Schutz
des Etuis.
Die Steine liegen noch in der Erde, aber der Schatz ist fort.
Nils sieht zu Martin hoch.
»Sie haben ihn eingesteckt«, sagt er drohend und macht
einen Schritt auf ihn zu. »Wo ist der Schatz?«
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W ir sind da«, sagte Lennart und machte den Motor aus. »Wie
findest du mein Versteck?«
»Es ist wunderschön«, antwortete Julia.
Bei einem kleinen Wäldchen aus Kiefern und Ulmen, etwa
fünf Kilometer nördlich von Marnäs, war Lennart in einen
kleinen Privatweg eingebogen. Er hatte den Wagen ausrollen
lassen und war auf einer großen Lichtung zum Stehen gekommen. Vor ihnen lag das blaugraue Meer, und davor stand
Lennarts rotbraunes Backsteinhaus, umgeben von einem
kleinen Garten.
Es war nicht groß, aber die Lage war phantastisch. Hinter
dem Häuschen erstreckte sich nur der Horizont. Der gepflegte Rasen ging fast unmerklich in einen breiten Sandstrand über.
Die kahlen Stämme der Nadelbäume umrahmten den Garten wie die Wände einer Kirche. Sie spendeten Schatten und
dämpften alle Geräusche.
Es wurde beinahe feierlich still, als Lennart den Motor ausschaltete, man hörte nur ein leises Rauschen in den Baumwipfeln.
»Die Kiefern sind natürlich gepflanzt worden, aber das war
lange vor meiner Zeit«, erklärte Lennart.
Julia sog den Geruch des Waldes mit geschlossenen Augen
ein.
»Wie lange wohnst du hier schon?«
»Lange, seit fast zwanzig Jahren. Und es gefällt mir immer
noch.« Er blickte sich suchend um und fragte dann: »Bist du
gegen Katzen allergisch? Ich habe eine Perserkatze, sie heißt
Missy, aber ich glaube, sie ist gerade unterwegs.«
»Kein Problem, ich habe keine Katzenallergie!«, sagte Julia
und folgte ihm auf ihrer Krücke ins Haus.
Es sah mit seinen Backsteinmauern so stabil aus, als könnte
kein Wintersturm es jemals ins Wanken bringen. Lennart
schloss die Küchentür am Seiteneingang auf.
»Du bist noch nicht hungrig, oder?«, fragte er.
»Nein, das hat
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